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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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begann Flagg zu lachen.

20
    Von allen Waffen, die je benutzt wurden, um Regizid zu begehen - die Ermordung eines Königs -, wird keine so oft angewandt wie Gift. Und niemand weiß mehr über Gifte als ein Zauberer.
    Flagg, einer der größten Zauberer, die je gelebt haben, kannte alle Gifte, die auch uns bekannt sind - Arsen, Strychnin, Curare, das sich in den Kreislauf schleicht und alle Muskeln lähmt, zuletzt das Herz; Nikotin; Belladonna; Nachtschatten; Knollenblätterpilz. Er kannte die Gifte von hundert Schlangen und Spinnen; das klare Destillat der Clanah-Lilie, welches süß wie Honig riecht, das Opfer aber schreiend vor Qualen verenden lässt; tödlichen Krallenfuß, der in den tiefsten Schatten des Totensumpfes wächst. Flagg kannte nicht nur Dutzende, sondern Aberdutzende von Giften, und eines war schrecklicher als das andere. Sie standen alle fein säuberlich aufgereiht in einem Zimmer, das kein Diener je betrat. Sie waren in Kolben, in Phiolen, in kleinen Umschlägen. Jedes der tödlichen Gifte war säuberlich beschriftet. Das war Flaggs Kapelle Kommenden Leids - das Vorzimmer des Schmerzes, Halle des Fiebers, Ankleidezimmer des Todes. Flagg kam oft hierher, wenn er niedergeschlagen war und sich aufheitern wollte. In diesem Teufelsbasar warteten all die Dinge, welche die Menschen, die aus Fleisch gemacht und schwach sind, so sehr fürchten: hämmernde Kopfschmerzen,
grimmige Magenkrämpfe, Detonationen von Durchfall und Brechreiz, platzende Blutgefäße, Lähmung des Herzmuskels, explodierende Augäpfel, Schwellungen, schwarze Zungen, Wahnsinn.
    Aber das schlimmste aller Gifte verwahrte Flagg abseits von den anderen. In seinem Arbeitszimmer stand ein Schreibtisch. Jede Schublade dieses Schreibtischs war verschlossen … aber eine war dreifach verschlossen. Darin stand ein Kästchen aus Teakholz, welches Schnitzereien magischer Symbole zierten … Runen und dergleichen. Das Schloss dieses Kästchens war einmalig. Die Platte schien aus dunkelorangefarbenem Stahl zu bestehen, aber wenn man genauer hinsah, dann sah man, dass es sich eigentlich um eine Art Pflanze handelte. Es war eine Kläfferkarotte, die Flagg einmal wöchentlich mit einem Sprüher wässerte. Die Kläfferkarotte schien über eine niedere Art von Intelligenz zu verfügen. Wenn jemand versuchte, das Kläfferkarotten-Schloss aufzubrechen, und selbst wenn die falsche Person versuchte, es mit dem richtigen Schlüssel zu öffnen, begann das Schloss zu kreischen. In diesem Kästchen befand sich ein kleineres Kästchen, welches nur mit einem Schlüssel geöffnet werden konnte, den Flagg stets um den Hals trug.
    In diesem Kästchen befand sich ein Päckchen. In diesem Päckchen wiederum war eine kleine Menge grüner Sand. Hübsch, würdet ihr vielleicht sagen, aber nichts Besonderes. Nichts, von dem man viel Aufhebens machen würde. Und doch war dieser grüne Sand eines der tödlichsten Gifte der Welt, so tödlich, dass selbst Flagg sich davor fürchtete. Er stammte aus der Wüste Grenh. Diese unermessliche Giftwüste lag noch jenseits von
Garlan und war ein Land, welches in Delain unbekannt war. Grenh konnte man sich nur an Tagen nähern, an denen der Wind in die andere Richtung wehte, denn ein einziges Einatmen der Dämpfe, die von der Wüste Grenh emporstiegen, wäre tödlich gewesen.
    Nicht auf der Stelle. So wirkte das Gift nicht. Einen Tag oder zwei - vielleicht sogar drei - würde die Person, welche die giftigen Dämpfe eingeatmet hatte (oder schlimmer noch, eines der grünen Sandkörnchen geschluckt), sich gut fühlen - vielleicht besser als jemals zuvor in ihrem Leben. Doch dann würde plötzlich die Lunge rot glühend werden, die Haut würde anfangen zu rauchen und der Leib würde zusammenschrumpeln wie der einer Mumie. Dann würde der Betreffende tot umfallen, oftmals mit brennenden Haaren. Jemand, der diese tödliche Substanz einatmete oder zu sich nahm, verbrannte von innen heraus.
    Das war Drachensand, und es gab kein Gegenmittel, keine Heilung. Was für ein Spaß.
    In jener stürmischen, regnerischen Nacht beschloss Flagg, Roland eine Winzigkeit Drachensand in einem Glas Wein zu verabreichen. Peter hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, seinem Vater jeden Abend, kurz bevor dieser zu Bett ging, ein Glas Wein aufs Zimmer zu bringen. Jeder im Palast wusste das und sprach darüber, was für ein liebevoller Sohn Peter war. Roland genoss die Gesellschaft seines Sohnes ebenso sehr wie den Wein, den er brachte, dachte Flagg, aber seit

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