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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Prinzessinnen verzogene Gören waren und, als Endprodukte alter, inzüchtiger Geschlechter, hässlich wie die Nacht und dazu auch noch dumm), die große Ungeheuer dazu verleiteten, sich in Fliegen zu verwandeln, die sie dann schnell erschlugen. In den meisten Märchen konnten die Prinzessinnen auch gut Fliegen erschlagen, obwohl die meisten Prinzessinnen, die Flagg gesehen hatte, nicht imstande gewesen wären, eine Fliege zu zerdrücken, die im Dezember auf einem kalten Fenstersims verendete. In Märchen klang das alles einfach, in Märchen veränderten Menschen andauernd die Gestalt oder verwandelten sich in wandelnde Fensterscheiben.
    In Wahrheit hatte Flagg selbst noch nie gesehen, wie einer dieser Tricks durchgeführt wurde. Er hatte einst einen berühmten anduanischen Magier gekannt, der glaubte, den Trick gemeistert zu haben, wie man seine Gestalt verändern konnte, aber nachdem er sechs Monate lang meditiert und fast eine Woche lang in schmerzhaften Körperhaltungen Zaubersprüche aufgesagt hatte, sprach er den letzten schrecklichen Zauberspruch aus und erhielt dafür nur eine Nase, die beinahe zweieinhalb Meter lang war, und endete im Wahnsinn. Und aus der
Nase waren Fingernägel gewachsen. Daran erinnerte sich Flagg mit einem grimmigen kleinen Lächeln. Großer Magier oder nicht, der Mann war ein Narr gewesen.
    Auch sich unsichtbar zu machen war unmöglich, jedenfalls soweit Flagg das hatte feststellen können. Aber es war möglich, sich … undeutlich zu machen.
    Ja, undeutlich - das ist wirklich der beste Ausdruck dafür, auch wenn einem manchmal andere einfallen: geisterhaft, transparent, schemenhaft. Unsichtbarkeit lag außerhalb seiner Fähigkeiten, aber wenn er zuerst eine Rute aß und dann mehrere Zaubersprüche aufsagte, war es ihm möglich, undeutlich zu werden. Wenn man undeutlich war und ein Diener kam einem im Flur entgegen, dann trat man einfach beiseite und stand still und ließ den Diener vorbeigehen. In den meisten Fällen sah der Diener auf seine eigenen Füße hinunter oder fand plötzlich etwas Interessantes an der Decke, das er betrachten musste. Wenn man durch ein Zimmer ging, dann kam die Unterhaltung ins Stocken und die Bewohner sahen kurz gequält aus, als litten sie alle gleichzeitig an Blähungen. Fackeln und Wandleuchter begann zu rauchen. Kerzen erloschen manchmal. Verstecken musste man sich, wenn man undeutlich war, eigentlich nur dann, wenn sich einem jemand näherte, den man gut kannte, denn ob man undeutlich war oder nicht, solche Leute sahen einen fast immer. Undeutlichkeit war äußerst nützlich, aber sie war keineswegs das Gleiche wie Unsichtbarkeit.
    In der Nacht, als Flagg den vergifteten Wein in Rolands Zimmer brachte, machte er sich zuerst undeutlich. Er rechnete nicht damit, dass er jemandem begegnen würde, den er kannte. Es war schon nach neun, der König
war alt und kränklich, die Tage waren kurz, und im Schloss ging man früh zu Bett. Wenn Thomas König ist, dachte Flagg, während er den Wein rasch durch die Flure trug, werden jede Nacht Feste gefeiert. Er hat jetzt schon die Trinkernatur seines Vaters, auch wenn er Wein statt Bier oder Met trinkt. Es dürfte nicht schwer sein, ihm ein paar stärkere Getränke schmackhaft zu machen … Bin ich denn nicht sein Freund? Ja, wenn Peter endgültig aus dem Weg geschafft ist und in der Nadel sitzt und wenn Thomas König ist, dann werden hier jede Nacht rauschende Feste stattfinden … bis das Volk in den Gassen und den Baronien genügend ausgepresst ist und sich zu einem blutigen Aufstand erhebt. Dann wird es noch ein letztes Fest geben, das größte von allen … aber ich glaube nicht, dass es Thomas gefallen wird. Wie der Wein, den ich seinem Vater heute Abend bringe, wird auch das Fest außerordentlich heiß werden.
    Er rechnete nicht damit, jemandem zu begegnen, den er kannte, und er begegnete auch keinem. Ein paar Diener gingen an ihm vorbei, aber sie wichen der Stelle aus, wo er stand, ohne weiter darüber nachzudenken, als hätten sie einen kalten Luftzug verspürt.
    Trotzdem sah ihn jemand. Thomas sah ihn durch die Augen von Neuner, dem Drachen, den sein Vater vor langer Zeit erlegt hatte. Und das konnte Thomas, weil Flagg selbst ihm diesen Trick einst beigebracht hatte.

24
    Die Art, wie sein Vater das Geschenk des Schiffes missachtet hatte, hatte Thomas zutiefst verletzt, und danach hielt er sich meist von seinem Vater fern. Dennoch liebte Thomas Roland und wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn so

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