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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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glücklich zu machen wie Peter. Mehr noch, er wollte, dass sein Vater ihn ebenso liebte wie Peter. Thomas wäre im Grunde genommen schon zufrieden gewesen, wenn sein Vater ihn nur halb so sehr wie Peter geliebt hätte.
    Das Problem war, dass Peter alle guten Einfälle zuerst hatte. Manchmal versuchte Peter seine Einfälle mit Thomas zu teilen, aber für Thomas klangen sie entweder albern (bis sie funktionierten), oder aber er fürchtete, seinen Teil zu der Arbeit nicht beisteuern zu können, zum Beispiel, als Peter seinem Vater vor drei Jahren einen Satz Bendoh-Figuren schnitzte.
    »Ich werde Vater etwas Besseres als einen Satz dummer alter Spielfiguren schenken«, hatte Thomas überheblich gesagt, aber in Wahrheit dachte er, wenn es ihm schon nicht gelang, etwas so Einfaches wie ein Holzschiff zu machen, wie sollte er dann an etwas so Kompliziertem wie einer aus zwanzig Spielfiguren bestehenden Bendoh-Armee mithelfen? Also machte Peter die Figuren in einem Zeitraum von vier Monaten allein - Infanteristen, Ritter, Bogenschützen, Füsiliere, den General, den Mönch -, und natürlich hatten sie Roland gefallen,
auch wenn sie ein wenig klobig waren. Er hatte auf der Stelle das Bendohspiel aus Jade beiseite gestellt, welches ihm der große Ellender vor vierzig Jahren geschnitzt hatte, und es durch das ersetzt, was Peter gemacht hatte. Als Thomas dies sah, verkroch er sich in sein Zimmer und legte sich ins Bett, obwohl es erst Nachmittag war. Ihm war zumute, als hätte jemand in seine Brust gegriffen, ein winziges Stück seines Herzens abgeschnitten und ihn gezwungen, es zu essen. Sein Herz schmeckte sehr bitter, und er hasste Peter mehr denn je, wenngleich ein Teil von ihm seinen schönen älteren Bruder immer noch liebte und immer lieben würde.
    Und obwohl der Geschmack bitter gewesen war, hatte er ihn gemocht.
    Weil es sein Herz war.
    Und nun war da die Sache mit dem abendlichen Glas Wein.
    Peter war zu Thomas gekommen und hatte gesagt: »Ich habe mir überlegt, dass es nett wäre, wenn wir Vater jeden Abend ein Glas Wein bringen, Tom. Ich habe den Truchsess gefragt, und er hat gesagt, er kann uns nicht einfach eine Flasche geben, weil er am Ende eines jeden Sechstmonats mit dem Kellermeister abrechnen muss, aber er sagte, wir könnten etwas von unserem Geld zusammenlegen und eine Flasche Baronat Fünferfass kaufen, das ist Vaters Lieblingswein. Und der ist nicht einmal sehr teuer. Wir hätten immer noch genügend Taschengeld übrig. Und...«
    »Ich finde, das ist der dümmste Einfall, den ich jemals gehört habe!«, platzte Thomas heraus. »Der ganze Wein gehört Vater, der ganze Wein im Königreich, und er kann so viel haben, wie er möchte! Warum sollten
wir unser Geld ausgeben, um Vater etwas zu kaufen, das ihm sowieso gehört? Wir werden den fetten kleinen Truchsess reich machen, mehr nicht!«
    Peter sagte geduldig: »Es wird ihn freuen, dass wir Geld für ihn ausgeben, auch wenn es ihm sowieso gehört.«
    »Woher willst du das wissen?«
    Schlicht, und auf eine Art, die ihn rasend machte, antwortete Peter: »Ich weiß es eben.«
    Thomas sah ihn finster an. Wie sollte er Peter erklären, dass der Kellermeister ihn im Weinkeller erwischt hatte, als er, erst vor einem Monat, eine Flasche Wein stibitzen wollte? Das fette kleine Schwein hatte ihn durchgeschüttelt und gedroht, alles seinem Vater zu sagen, wenn er ihm nicht ein Goldstück gäbe. Thomas hatte mit Tränen der Wut und Scham in den Augen bezahlt. Wäre es Peter gewesen, dann hättest du dich in die andere Richtung gedreht und so getan, als hättest du es nicht gesehen, du miese kleine Ratte, dachte er. Wenn es Peter gewesen wäre, hättest du ihm den Rücken zugewandt. Weil Peter bald König sein wird, und ich werde für immer Prinz bleiben. Er dachte auch daran, dass Peter nie auf den Gedanken gekommen wäre, Wein zu stehlen, und diese Einsicht machte ihn noch wütender auf seinen Bruder.
    »Ich dachte nur …«, begann Peter.
    »Du dachtest nur, du dachtest nur«, äffte Thomas ihn erbost nach. »Dann geh und denk anderswo! Wenn Vater herausfindet, dass du dem Kellermeister Geld für Wein gegeben hast, der sowieso ihm gehört, wird er dich auslachen und dich einen Narren nennen!«
    Aber Roland hatte nicht über Peter gelacht, und er
hatte ihn nicht einen Narren genannt - er hatte ihn mit einer unsicheren und fast weinerlichen Stimme einen guten Sohn genannt. Thomas wusste es, weil er seinem Bruder nachgeschlichen war, als Peter ihrem Vater zum ersten

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