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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ohne ein Wort zu diesem Fenster geführt, und als Thomas den Ausblick sah - die ganze Stadt Delain, die Nahen Städte, und dann die Berge, welche sich zwischen den Nahen Städten und der Östlichen Baronie befanden und in blauen Dunst gehüllt waren -, dachte er, dass sich jede einzelne Treppenstufe gelohnt hatte, die er mit schmerzenden
Beinen heraufgestiegen war. Sein Herz lachte angesichts dieser Schönheit, und er drehte sich um, um Flagg zu danken - aber etwas in dem weißen Fleck, als den sich das Gesicht des Magiers unter der Kapuze abzeichnete, ließ ihm die Worte auf den Lippen gefrieren.
    »Und nun sieh dir das an!«, sagte Flagg und hielt eine Hand hoch. Ein blauer Flammenstrahl zuckte aus seinem Zeigefinger empor, und das Rascheln, welches Thomas anfänglich für das Geräusch des Windes gehalten hatte, schwoll zu einem lautstarken Flattern ledriger Schwingen an. Einen Augenblick später schrie Thomas gellend und fuchtelte mit den Armen über dem Kopf, während er verzweifelt zu der winzigen Tür zurückstolperte. Von dem kleinen runden Zimmer auf der Spitze des Ostturms aus hatte man den besten Überblick über Delain, abgesehen von der Zelle in der Spitze der Nadel, aber nun begriff er, warum niemand hierher kam. In dem Raum nisteten riesige Fledermäuse. Vom Licht aufgeschreckt, das Flagg herbeigezaubert hatte, flatterten sie wild umher. Später, als sie wieder draußen waren und Flagg den Jungen beruhigt hatte - Thomas, der Fledermäuse hasste, hatte einen hysterischen Anfall bekommen -, bestand der Zauberer darauf, dass es lediglich ein Scherz gewesen war, der ihn aufheitern sollte. Thomas glaubte ihm … aber er erwachte noch Wochen später schreiend aus Albträumen, in denen Fledermäuse um seinen Kopf flogen, sich in seinen Haaren verfingen und mit ihren scharfen Krallen und spitzen Rattenzähnen sein Gesicht zerkratzten.
    Bei einem anderen Ausflug führte Flagg ihn in die Schatzkammer des Königs und zeigte ihm die Berge von Goldmünzen, Stapel von Goldbarren, und die tiefen
Fässer mit Aufschriften wie SMARAGDE, DIAMANTEN, RUBINE, FEUERQUARZ und so weiter.
    »Sind sie wirklich voller Juwelen?«, fragte Thomas.
    »Sieh selbst nach«, sagte Flagg. Er öffnete eines der Fässer und holte eine Handvoll ungeschliffener Smaragde heraus. Sie funkelten grell in seiner Hand.
    »Beim Namen meines Vaters!«, keuchte Thomas.
    »Oh, das ist noch gar nichts! Schau hierher! Piratenschatz, Tommy!«
    Er zeigte Thomas einen Haufen der Beute aus der Schlacht mit den anduanischen Piraten vor zwölf Jahren. Die Schatzkammern Delains waren übervoll, die Schatzmeister alt, und dieser Stapel war noch nicht durchgesehen worden. Thomas bestaunte schwere Schwerter mit juwelenbesetzten Griffen, Dolche, welche mit geschliffenen Diamanten versehen waren, damit sie tiefer schnitten, schwere Morgensterne aus Rosenspat - gehärtetem Stahl.
    »Das alles gehört dem Königreich?«, fragte Thomas mit ehrfürchtiger Stimme.
    »Es gehört alles deinem Vater«, entgegnete Flagg, wenngleich Thomas natürlich recht gehabt hatte. »Eines Tages wird es Peter gehören.«
    »Und mir«, sagte Thomas mit dem Selbstbewusstsein eines Zehnjährigen.
    »Nein«, sagte Flagg mit genau der richtigen Spur Bedauern in der Stimme, »nur Peter. Weil er der Ältere ist und König werden wird.«
    »Er wird es mit mir teilen«, sagte Thomas mit einem leichten Beben des Zweifels in der Stimme. »Er teilt alles mit mir.«
    »Peter ist ein guter Junge, und ich bin mir sicher, dass
du recht hast. Wahrscheinlich wird er alles mit dir teilen. Aber niemand kann einen König zwingen, zu teilen, weißt du. Niemand kann einen König zwingen, etwas zu tun, das er nicht tun möchte.« Er sah Thomas an, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen, dann sah er wieder in die tiefe, halbdunkle Schatzkammer. Irgendwo zählte einer der uralten Schatzmeister laut und eintönig Dukaten. »So viele Schätze, und alles für einen einzigen Menschen«, bemerkte Flagg. »Das ist wirklich etwas, worüber man nachdenken sollte, nicht wahr, Tommy?«
    Thomas sagte nichts, aber Flagg war zufrieden. Er sah, dass Tommy darüber nachdachte, und er war sich sicher, dass wieder eine der Kisten mit giftigem Inhalt in den Brunnen von Thomas’ Verstand gekippt wurde - ruck-platsch! Und das war wirklich so. Später, als Peter Thomas den Vorschlag gemacht hatte, die Kosten für den abendlichen Wein zu teilen, hatte Thomas sich an die große Schatzkammer erinnert - und er hatte sich daran

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