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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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erinnert, dass alle Schätze darin seinem Bruder gehören würden. Du kannst leicht davon sprechen, Wein zu kaufen! Warum auch nicht? Eines Tages wird dir alles Geld der Welt gehören!
    Dann, etwa ein Jahr bevor er dem König den vergifteten Wein brachte, hatte Flagg Thomas impulsiv den Geheimgang gezeigt … und genau an diesem Tag hatte sein sonst untrüglicher Instinkt für Unheil ihn vielleicht in die Irre geführt. Nochmals: Das zu entscheiden, möchte ich euch überlassen.

26
    »Tommy, du siehst missmutig aus!«, rief er. Die Kapuze seines Mantels war an diesem Tag zurückgeschoben, und er sah fast normal aus.
    Fast.
    Tommy war düsterer Stimmung. Er hatte ein langes Mittagessen über sich ergehen lassen müssen, in dessen Verlauf sein Vater seinen Ratgebern mit den blumigsten Ausschmückungen von Peters Leistungen in Geometrie und Navigation berichtet hatte. Roland hatte von beidem kaum je etwas verstanden. Er wusste, dass ein Dreieck drei Seiten hatte und ein Viereck vier. Er wusste, man konnte einen Weg aus dem Wald herausfinden, wenn man sich verirrt hatte, indem man dem Alten Stern am Himmel folgte; und damit endete sein Wissen. Und damit endete auch Thomas’ Wissen, daher hatte er auch den Eindruck, das Mittagessen würde niemals enden. Schlimmer noch, das Fleisch war genau so, wie sein Vater es mochte - blutig und kaum angebraten. Bei blutigem Fleisch wurde Thomas beinahe übel.
    »Das Essen ist mir nicht bekommen, weiter nichts«, sagte er zu Flagg.
    »Nun, ich weiß etwas, was dich aufmuntern wird«, meinte Flagg. »Ich werde dir eines der Geheimnisse des Schlosses zeigen, Tommy, mein Junge.«
    Thomas spielte gerade mit einem Buggerlugkäfer. Er
hatte ihn auf seinen Schreibtisch gesetzt und eine Reihe seiner Schulbücher als Barrieren darum aufgebaut. Immer wenn es so aussah, als würde der plumpe Käfer einen Ausweg finden, versperrte Thomas ihm diesen, indem er rasch ein Buch davorschob.
    »Ich bin ziemlich müde«, sagte Thomas. Das war keine Lüge. Wenn er hörte, wie Peter so übermäßig gelobt wurde, machte ihn das immer müde.
    »Es wird dir gefallen«, sagte Flagg in einem Tonfall, der zum größten Teil schmeichelnd war - aber auch ein wenig bedrohlich.
    Thomas sah ihn zweifelnd an. »Es gibt doch keine … Fledermäuse dort, oder?«
    Flagg lachte herzlich … aber Thomas bekam dennoch eine Gänsehaut, als er es hörte. Er schlug Thomas auf den Rücken. »Keine Fledermaus! Keine Feuchtigkeit! Kein Luftzug! Alles ungefährlich! Und du kannst gucken, was dein Vater macht, Tommy!«
    Tommy wusste, dass »gucken« nur ein anderer Ausdruck für »spionieren« war, und dass spionieren falsch war - dennoch war es ein geschickter Schachzug gewesen. Als der Buggerlugkäfer das nächste Mal zwischen zwei Büchern hervorkam, ließ Thomas ihn gehen. »Also gut«, sagte Thomas. »Aber keine Fledermäuse!«
    Flagg legte dem Jungen einen Arm um die Schulter. »Keine Fledermäuse, das schwöre ich - aber dafür etwas, worüber du nachdenken kannst, Tommy. Du wirst nicht nur deinen Vater sehen, du wirst ihn durch die Augen seiner größten Trophäe sehen.«
    Thomas riss interessiert die Augen auf. Flagg war zufrieden. Der Fisch hatte angebissen und den Köder geschluckt. »Was soll das heißen?«

    »Komm und sieh selbst«, sagte er, mehr nicht.
    Er führte Thomas durch einen Irrgarten von Korridoren. Ihr hättet euch binnen kurzem verirrt, und auch ich selbst hätte mich wahrscheinlich sehr schnell nicht mehr zurechtgefunden, aber Thomas kannte den Weg so gut, wie ihr den durch euer Schlafzimmer im Dunkeln findet - wenigstens so lange, bis Flagg ihn beiseiteführte.
    Sie hatten beinahe die Privatgemächer des Königs erreicht, als Flagg eine verborgene Holztür aufstieß, die Thomas bisher noch nie aufgefallen war. Selbstverständlich war sie schon immer da gewesen, aber in Schlössern gibt es häufig Türen - sogar ganze Flügel -, die die Kunst beherrschen, sich undeutlich zu machen.
    Der Durchgang war ziemlich schmal. Ein Zimmermädchen mit einem Armvoll Laken ging an ihnen vorbei; sie war so entsetzt darüber, dass sie dem Hofzauberer in dem engen Flur begegnete, dass es aussah, als wäre sie mit Freuden in den Poren der Steinmauer verschwunden, nur um zu vermeiden, ihn zu berühren. Thomas hätte beinahe gelacht, denn manchmal empfand er ähnlich, wenn er sich in Flaggs Nähe aufhielt. Sonst begegneten sie niemandem.
    Unter sich konnte er leise Hunde bellen hören, und das vermittelte ihm eine

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