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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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war etwas Neues, denn Arlen schlich nie. Wenigstens, dachte Peyna mit dem niemals ruhenden Richterverstand, WUSSTE ich bisher nicht, dass er schleicht.
    Er ließ Arlen bis zur Tür gehen, wie ein versierter Fischer einem angebissenen Fisch genügend Schnur lässt, dann hielt er ihn an. »Arlen.«
    Arlen drehte sich um. Er sah gewappnet aus, als erwartete er einen Tadel.
    »Es gibt keine Zwerge mehr. Hat deine Mutter dir das denn nicht gesagt?«
    »Doch«, sagte Arlen widerstrebend.
    »Schön von ihr. Eine kluge Frau. Dann müssen die Hirngespinste in deinem Kopf von deinem Vater stammen. Lass den Oberwärter herein. In die Gesindeküche«, fügte er hastig hinzu. »Ich habe nicht den Wunsch,
ihn hier zu sehen. Er stinkt. Aber lass ihn in die Gesindeküche, damit er sich aufwärmen kann. Die Nacht ist kalt.« Seit Rolands Tod, überlegte Peyna, waren alle Nächte kalt, als wollten sie dafür Buße tun, dass Roland innerlich verbrannt war.
    »Ja, mein Lord«, sagte Arlen mit deutlichem Widerwillen.
    »Ich werde in Kürze nach dir läuten und dir sagen, was du mit ihm tun sollst.«
    Arlen ging als gedemütigter Mann hinaus und schloss die Tür hinter sich.
    Peyna drehte den Umschlag mehrmals in den Händen herum, ohne ihn zu öffnen. Der Schmutz stammte zweifellos von Besons fettigen Fingern. Er konnte beinahe den Schweiß des Unholds auf dem Umschlag riechen. Er war mit einem Klecks gewöhnlichen Kerzenwachses versiegelt worden.
    Er dachte: Ich würde vielleicht besser daran tun, dies ohne Umschweife ins Feuer zu werfen und nicht mehr daran zu denken. Ja, ihn ins Feuer werfen, dann Arlen läuten und ihm sagen, er soll dem kleinen gebeugten Oberwärter - er sieht WIRKLICH wie ein Zwerg aus, wenn man darüber nachdenkt - einen Becher Grog geben und ihn dann wegschicken. Ja, das sollte ich tun.
    Aber er wusste, er würde es nicht tun. Das absurde Gefühl, dass er hier ein Licht am Ende des finsteren Tunnels erblickte, wollte nicht von ihm weichen. Er fuhr mit dem Daumen unter die Klappe des Umschlags, erbrach das Siegel und zog den kurzen Brief heraus, den er im Schein des Feuers las.

58
    Peyna,
ich habe beschlossen zu leben.
    Ich habe nur wenig über die Nadel gelesen, bevor ich selbst dorthin gebracht wurde, und wenngleich ich ein wenig mehr darüber gehört habe, war das meiste doch nur Klatsch. Was ich unter anderem gehört habe, war, dass man gewisse kleine Vergünstigungen erkaufen kann. Es scheint tatsächlich so zu sein. Ich persönlich habe selbstverständlich kein Geld, doch ich dachte, Ihr könntet möglicherweise meine diesbezüglichen Ausgaben übernehmen. Ich habe Euch vor nicht allzu langer Zeit einen Gefallen getan, und wenn Ihr dem Oberwärter die Summe von acht Gulden bezahlt - eine Summe, die zu Beginn eines jeden Jahres erneuert werden muss, welches ich an diesem unglückseligen Ort verbringe -, würde ich diesen Gefallen als abgegolten betrachten. Ihr werdet feststellen, dass diese Summe sehr bescheiden ist. Das liegt daran, dass ich lediglich um zwei Dinge bitte. Wenn Ihr veranlassen könntet, dass Beson ein »Trinkgeld« erhält, damit ich sie bekommen kann, werde ich Euch nicht mehr behelligen.
    Mir ist klar, es würde Euch in ein schlechtes Licht rücken, falls bekannt wird, dass Ihr mir geholfen habt, und sei es noch so bescheiden. Ich würde vorschlagen,
Ihr zieht meinen Freund Ben als Mittelsmann heran, wenn Ihr meinem Vorschlag folgen wollt. Ich habe seit meiner Verhaftung nicht mehr mit Ben gesprochen, hoffe jedoch, dass er mir treu ergeben geblieben ist. Ich würde lieber ihn als Euch bitten, jedoch sind die Staads nicht besonders gut gestellt, und Ben selbst verfügt über kein eigenes Geld. Es beschämt mich, jemanden um Geld zu bitten, aber es gibt keinen anderen, an den ich mich wenden könnte. Wenn Ihr der Meinung seid, Ihr könnt meiner Bitte nicht nachkommen, so werde ich dafür Verständnis haben.
    Ich habe meinen Vater nicht ermordet.
    Peter

59
    Peyna studierte diesen erstaunlichen Brief geraume Zeit. Sein Blick wanderte immer wieder zur ersten und zur letzten Zeile.
    Ich habe beschlossen zu leben.
    Ich habe meinen Vater nicht ermordet.
    Es überraschte ihn nicht, dass der Junge immer noch leugnete - er hatte Verbrecher gekannt, die noch nach Jahren ihre Unschuld beteuerten, wenngleich sie eines Verbrechens eindeutig überführt waren. Aber ein wahrhaft Schuldiger war nicht so kühn in seiner Verteidigung. So … so befehlsgewohnt.
    Ja, das gab ihm bei dem Brief am meisten zu

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