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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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sein mochte, ein Feigling war er sicher nicht. Er fragte sich, ob er wirklich mit Peter ins Geschäft kommen wollte.
    »Ich möchte, dass Ihr Anders Peyna eine Nachricht
überbringt«, sagte Peter. »Ich hoffe, Ihr kommt heute Nacht, um sie Euch abzuholen.«
    Beson sagte nichts, aber er strengte sich außerordentlich an nachzudenken. Dies war bislang die unglücklichste Wendung der Ereignisse. Peyna! Eine Nachricht für Peyna! Er hatte einen Augenblick des Erschreckens erlebt, als Peter ihn daran erinnerte, dass er der Bruder des Königs war, aber das war nichts verglichen mit dem. Peyna, bei den Göttern!
    Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger gefiel es ihm.
    König Thomas war es vielleicht einerlei, wenn sein Bruder in der Nadel grob behandelt wurde. Der ältere Bruder hatte ihren Vater ermordet, um nur eine Sache zu nennen; Thomas empfand momentan wahrscheinlich wenig Bruderliebe für ihn. Vor allem aber verspürte Beson keine oder wenig Furcht, wenn der Name von Thomas dem Lichtbringer genannt wurde. Wie fast alle anderen in Delain hatte auch Beson bereits begonnen, Thomas mit einer gewissen Verachtung zu betrachten. Aber Peyna … nun, bei Peyna war das etwas anderes.
    Für Beson und seinesgleichen war Anders Peyna furchterregender als ein ganzes Regiment von Königen. Ein König war ein fernes Wesen, strahlend und geheimnisvoll wie die Sonne. Es machte nichts aus, wenn die Sonne sich hinter Wolken zurückzog, so dass man fror, oder wenn sie heiß herniederschien und einem bei lebendigem Leibe zu braten drohte - man akzeptierte beides, denn was die Sonne tat, das war für sterbliche Wesen ohnehin nicht zu verstehen oder zu ändern.
    Peyna aber war ein irdischeres Geschöpf. Ein Geschöpf, das Beson kannte und fürchtete. Peyna mit
dem schmalen Gesicht und den eisblauen Augen, Peyna im hochgeschlossenen Richtergewand, Peyna, der entschied, wer leben durfte und wer unter das Fallbeil des Henkers musste.
    Konnte dieser Junge Peyna tatsächlich aus seiner Zelle in der Nadel Befehle erteilen? Oder war das nur ein verzweifelter Bluff?
    Wie kann es ein Bluff sein, wenn er eine Nachricht schreibt, die ich persönlich überbringen soll?
    »Wenn ich König wäre, so würde Peyna mir in jeder gewünschten Weise dienen«, sagte Peter. »Ich bin nicht König, nur ein Gefangener. Dennoch habe ich ihm vor nicht langer Zeit einen Gefallen getan, für den er mir vermutlich sehr dankbar ist.«
    »Ich verstehe«, antwortete Beson so unverbindlich er nur konnte.
    Peter seufzte. Plötzlich fühlte er sich sehr müde und fragte sich, welch einem närrischen Traum er eigentlich nachhing. Glaubte er wirklich, den ersten Schritt in die Freiheit zu tun, indem er diesen dummen Wärter verprügelte und ihn dann nach seinem Willen formte? Hatte er wirklich die Garantie, dass Peyna auch nur die kleinste Kleinigkeit für ihn tun würde? Vielleicht existierte die Vorstellung von Gefälligkeit und Belohnung nur in Peters Fantasie.
    Aber er musste es versuchen. Hatte er nicht in den langen und einsamen Nächten, als er um seinen Vater und um sein eigenes Schicksal trauerte, nicht beschlossen, dass die einzige Sünde darin bestehen würde, es nicht zu versuchen?
    »Peyna ist nicht mein Freund«, sagte Peter. »Ich möchte gar nicht so tun, als wäre er es. Ich wurde verurteilt,
weil ich meinen Vater, den König ermordet haben soll, und ich glaube nicht, dass ich in ganz Delain, von Norden bis Süden, noch einen einzigen Freund habe. Würdet Ihr dem zustimmen, Herr Oberwärter Beson?«
    »Ja«, antwortete Beson mit versteinerter Miene. »Das würde ich.«
    »Dennoch bin ich davon überzeugt, dass Peyna Euch das Bargeld zukommen lassen wird, das Ihr üblicherweise von Euren Gefangenen erhaltet.«
    Beson nickte. Wenn ein Adliger für längere Zeit in der Nadel eingesperrt wurde, dann sorgte Beson normalerweise dafür, dass er besseres Essen als das übliche fette Fleisch und verwässerte Bier bekam, einmal wöchentlich frische Bettwäsche und ab und zu Besuch von seiner Frau oder Geliebten. Natürlich machte er das nicht umsonst. Eingesperrte Adlige stammten fast immer aus reichen Familien, und in diesen Familien gab es immer jemanden, der bereit war, Beson für seine Dienste zu bezahlen, einerlei, welches Verbrechen der Verurteilte begangen hatte.
    Dieses Verbrechen war außergewöhnlich schrecklich, dennoch behauptete der Junge, dass kein Geringerer als Anders Peyna das Bestechungsgeld bezahlen würde.
    »Noch eines«, sagte Peter leise.

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