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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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darüber reden, sogar das war schon
    unanständig. Ich saß einmal in der Badewanne, da ging die Glühbirne kaputt. Zuerst flackerte sie, und dann ging das Licht aus, und ich saß im Dunkeln. Ich habe meinen Vater gerufen. Er kam auch und hat die Birne ausgewechselt. Dabei hat er mir die ganze Zeit den Rücken zugedreht. Er war ganz rot im Gesicht, das konnte ich im Spiegel sehen. Ich war doch erst dreizehn, und er war doch mein Vater. Da mußte er sich doch nicht schämen, daß er zu mir ins Badezimmer kam. «

    Sie hatte Paul gefragt, warum es ihm so peinlich gewesen sei.
    Eine Antwort hatte sie nicht bekommen, nur eine grobe Zurechtweisung. Und danach hatte Paul sie nie wieder in den Arm genommen. Sie durfte abends auf der Couch nicht mehr dicht bei ihm sitzen. Und vorher war sie doch Papas Einzige gewesen. Und dann war sie eben Schramms Einzige. Und das war mehr, das war perfekt.
    Im Frühjahr war sie bereits soweit, daß sie alleine in die Praxis kam. Und einmal hatte sie einen Umweg gemacht, hatte zuerst den Bus genommen statt der Straßenbahn. Davon erzählte sie Ed gleich, als sie zur Tür hereinkam, weil sie sich um ein paar Minuten verspätet hatte.
    Sie entschuldigte sich nicht etwa. Sie sagte nur:

    »Ich bin extra eine halbe Stunde früher los. Aber der Bus hatte Verspätung. «

    Dann kam ein zusammenhangloses:

    »Wir sind früher immer mit dem Bus gefahren. «

    Bereits an dem sehnsüchtigen Unterton erkannte Ed, wovon sie sprach. Sie stand noch bei der Tür, lächelte verlegen und unsicher, kam langsam näher.

    »Ich hoffe, Sie sind nicht böse.
    Ich mußte es einfach versuchen. «

    Und dann strahlte sie ihn an.

    »Und es hat funktioniert. «

    Während sie langsam zu ihrem Sessel ging, sich hinsetzte und die Beine übereinanderschlug, erklärte sie:

    »Ich glaube, es ist wieder alles in Ordnung. Er wird immer stärker. Er war bei mir. Richtig bei mir, nicht so wie nachts. Ich habe ihn berührt, er hat mit mir gesprochen. Er hat mich im Arm gehalten, er war wirklich da. Der Bus hatte keine Verspätung, das habe ich nur so gesagt. Ich bin eine Station zu weit gefahren.
    Ich konnte nicht gleich aussteigen. Ich habe so lange auf ihn gewartet. Ich habe ihn so vermißt. «

    Ed ließ sie reden, wie er es immer tat, fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde. Sie beschrieb ihm in allen Einzelheiten, wie diese Fahrt gewesen war. Der Mann neben ihr, sein Arm um ihre Schultern, seine Hand auf dem Oberarm, die andere auf ihrem Schenkel, das Flüstern an ihrem Ohr. Sie steigerte sich mehr und mehr hinein. Aber er unterbrach sie nicht ein einziges Mal.
    Selbst dann nicht, als sie ihm nach einer halben Stunde erzählte, daß sie gar nicht hier war, sondern in einem großen, hellen Zimmer, in dem ein breites Bett stand, so eins mit einem Radio im Kopfteil. Und sie saß nicht im Sessel ihm gegenüber, sondern lag auf diesem Bett. Es lief leise Musik. Und der Mann war dabei, ihre Bluse zu öffnen. Dabei drehten ihre Finger an einem Blusenknopf. Ihre Pupillen waren weit und um einen Ton dunkler. Die Stimme wurde rauh, pendelte zwischen Ed und dem Mann auf der Bettkante hin und her. Es schien fast, als wäre sie in Trance.

    »Du hast mir so gefehlt. Halt mich fest, ja, halt mich ganz fest. «

    Sie hatte den Blusenknopf geöffnet. Ed rechnete damit, daß sie ihre Hand unter den Stoff schob. Aber das tat sie nicht. Die Hand blieb, wo sie war, reglos auf der Bluse liegen. Sie legte den Kopf zurück, schwieg ein paar Sekunden lang. Nur der heftige Atem war zu hören. Dann flüsterte sie plötzlich:

    »Bis wir verrückt werden. Nein, mach die Augen nicht zu. Schau mich an. Ich will es sehen. «

    Da griff Ed ein. Es kam für ihn selbst überraschend, aber er hätte ihr keine Sekunde länger zuschauen oder zuhören können.
    Da war plötzlich so viel Wut. Seine Stimme klang ungewohnt scharf:

    »Was wollen Sie sehen, Patrizia? «

    Sie zuckte zusammen, schüttelte sich leicht und starrte ihn an, als hätte er sie von weither zurückgeholt. So war es wohl auch.
    Sie mußte sich orientieren.
    Schließlich murmelte sie:

    »Das kann man nicht erklären. Er hat etwas im Blick. Wie ein großer Zauberer. Magie. Manchmal, wenn ich nicht genau wußte, ob es richtig war, was er sagte, habe ich ihn nur angeschaut. Und dann konnte ich es ganz deutlich in seinen Augen erkennen. Es war alles richtig. «

    Wie sie da vor ihm saß, einen letzten Rest von Entrücktheit auf dem Gesicht, noch ein bißchen von der Glut im Blick,

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