Die Augen Rasputins
Kopf gegen die Schulter und strich mit einer Hand über ihr Haar. Seine Stimme klang so sanft und beschwichtigend.
»Jetzt red doch keinen Unsinn! Nicht weinen, Püppi, nicht weinen! Komm, hör auf damit! Das kann ich nicht sehen. Ist ein bißchen viel Streß im Moment, was? «
Unter seiner Hand schüttelte sie den Kopf. Die Stimme kippte unter den krampfartigen Schluchzern.
»Das ist kein Streß, vielleicht ist es Enttäuschung. Du hast bisher nicht einmal versucht, mich zu küssen. «
Dann schlang sie beide Arme um seinen Hals, legte den Kopf in den Nacken, zog seinen Kopf zu sich herunter, schaute ihm in die Augen. Ihre Mundwinkel zitterten. Tränen sammelten sich darin, verteilten sich über die Lippen. Das unkontrollierte Schluchzen ließ allmählich nach. Sie wurde ruhiger, vielleicht war es nur sein Blick. So weich wie früher, ein wenig besorgt.
»Verstehst du denn nicht, Heiko? Ich habe alles stehen- und liegenlassen und bin mit dir gegangen. Warum wohl? «
Mit beiden Händen in seinem Nacken schüttelte sie seinen Kopf leicht hin und her, als ob sie ihm auf diese Weise die richtige Antwort entlocken könnte. Aber eine Antwort kam nicht gleich, und sie flüsterte weiter:
»Ich bin nicht mehr siebzehn. Du kannst mir nicht erzählen, was wir tun werden, und mich dann hier einschließen. Zeig mir wenigstens einmal, wofür ich meinen Mann verlassen habe. «
Und als er immer noch nicht reagierte, reckte sie sich auf
Zehenspitzen, zog seinen Kopf gleichzeitig noch dichter zu sich heran und schloß die Augen. Dann küßte sie ihn, ganz leicht und sanft auf einen Mundwinkel, dann auf den anderen.
»Das habe ich so vermißt «, murmelte sie, küßte weiter, immer in der gleichen Art, eher ein Hauch, eine Ahnung als eine tatsächliche Berührung.
»Ich habe das danach nie wieder erlebt.
Aber ich habe immer darauf gewartet, jeden Abend. «
Er stand einfach da und ließ sie gewähren. Erst als sie sagte:
»Ich habe meinem Mann so oft erzählt, wie es mit uns war, aber er hat nicht begriffen, was ich ihm sagen wollte «, nahm er ihre Hände herunter und schob sie ein Stück von sich ab. Sein Gesicht wirkte fast schmerzvoll.
»Tut mir leid, Püppi, ich kann nicht. Nicht jetzt. Laß mir ein bißchen Zeit, ja? Ich… «
Er begann zu stottern, es wirkte fast ein wenig befremdend, wollte so gar nicht zu ihm passen.
»Es ist nur… «
Er zuckte mit den Schultern, beinahe hilflos. Dann atmete er tief durch.
»Vielleicht verstehst du das nicht, Püppi. Aber als Retling mir sagte, daß du verheiratet bist, da ging mir der Boden unter den Füßen weg. Ich hab’ zwar gleich daran gedacht, dich zu holen, ich wollt’ dich wiederhaben. Aber ich hab’ auch daran denken müssen, daß du mit ’nem anderen rumgemacht hast. «
Er streckte ihr beide Hände entgegen, Handteller nach oben, bewegte sie hin und her, zuckte dabei unentwegt mit den Schultern und stotterte weiter:
»Ich meine, das war dein gutes Recht. Das gehört ja dazu, wenn man einen heiratet. Ich… ich mach’ dir deshalb keine Vorwürfe, bestimmt nicht. Aber ich hatt’ mir immer vorgestellt, daß ich der erste bin. Jetzt muß ich mich wohl an den Gedanken gewöhnen, daß ich das nicht mehr sein kann. Das geht bei mir nicht so von heute auf morgen. Es kommt schon noch, Püppi, es kommt bestimmt noch. Wart mal bis morgen. Wenn ich ’ne Nacht da oben gelegen hab’ und mir vorgestellt hab’, daß du so nah bei mir bist. «
Ganz plötzlich grinste er, legte sich eine Hand auf den Schritt seiner Hose. Auch sein Ton war hörbar sicherer geworden.
»Ich kann ihm ja heut’ nacht erzählen, daß es jetzt soweit ist. Mal sehen. Dann quartieren wir die zwei Alten morgen ins
Gästezimmer um. Die haben ein Bett, ich sag’ dir, das Feinste vom Feinen. Möcht’ nicht wissen, was das gekostet hat. Da haben wir jedenfalls Platz genug. «
Sein Grinsen ging in ein schelmisches Lächeln über, das ihn sehr jungenhaft und unbekümmert wirken ließ. Er blinzelte ihr zu.
»Meinst du, du hältst es solange aus? «
Sie nickte, irgendwie tapfer und vertrauensvoll, preßte für einen Moment die Lippen aufeinander, flüsterte anschließend:
»Und wenn er nicht auf dich hört, schickst du ihn einfach zu mir. Ich habe eine Menge gelernt in den vergangenen Jahren.
Ich kann ihm etwas davon erzählen, das wird ihn aufrichten.
Anschließend ist es ihm vielleicht egal, daß er nicht der erste ist. «
Bis nach neun saßen sie im Wohnraum
Weitere Kostenlose Bücher