Die Augen Rasputins
die Augen.
»Weil ich dich liebe «, flüsterte sie,»weil ich mich danach sehne, daß du bei mir bist, richtig bei mir, verstehst du? «
Sie geriet erneut ins Stammeln.
»Nach all den Jahren… Ich habe doch nicht geglaubt, daß ich jemals richtig mit dir Zusammensein kann. Ich habe es doch gar nicht mehr glauben können. Ich dachte immer, wenn du eines Tages frei bist, wenn du erfährst, daß ich einen anderen habe, dann willst du mich nicht mehr. Ich verstehe, daß du jetzt ein bißchen Zeit brauchst, natürlich verstehe ich das. Vielleicht ist es auch besser so. Weißt du was, wir vergessen das, was ich eben gesagt habe, wir vergessen es einfach. «
Zuletzt war ihre Stimme nur noch ein rauhes und hektisches Flüstern gewesen. Sie tat so, als ob sie die Hände nach ihm ausstrecken und nach seinen Armen greifen wollte. Er trat noch einen Schritt zurück, nickte dabei.
»Okay, wir vergessen’s. Und jetzt iß, bevor der Kram ganz trocken wird. «
Bei den letzten Worten drehte er sich ruckartig zur Tür und trat hinaus in den Gang. Die Tür zog er hinter sich zu, aber er verschloß sie nicht mehr.
Sie stand minutenlang reglos auf einem Fleck, preßte beide Hände vor den Mund, um das hysterische Lachen zu
unterdrücken, das unbedingt hinauswollte. Ed hatte mehrfach gesagt:
»Und wenn du dich nackt zu ihm ins Bett gelegt hättest, er hätte dich nicht angerührt. Glaub es doch endlich! Jeder normale Mann in dem Alter hätte mit dir geschlafen, selbst dann, wenn er dich gar nicht geliebt hätte. Du warst jung, du warst hübsch, du hast deutlich zu verstehen gegeben, daß du dazu bereit warst. Jeder normale junge Mann hätte dein Angebot genutzt. Er nicht! Und warum nicht? Weil er nicht normal ist!
Warum begreifst du das nicht? «
Ich habe es begriffen, Ed. Und ich verlasse mich darauf. Eine Weile lauschte sie zur Tür hin, aber zu hören war nichts.
Schließlich ging sie zum Tisch, goß sich Kaffee ein, biß von einem der Brote ab. Es war dick mit Leberwurst bestrichen, verklebte die Zähne beim Kauen. Widerlich! Nach zwei Bissen legte sie es zurück auf den Teller, trank den Kaffee aus, ging zurück zur Esse.
Die Versuchung war groß, die Tür zu öffnen, um wenigstens zu hören, was im Haus vorging. Ging es den Retlings gut?
Sprachen sie miteinander? Waren sie wirklich in ihrem Schlafzimmer eingesperrt? Hatten sie Angst? Bestimmt hatten sie die. Sie hatte auch Angst. Aber auch das Gefühl, daß sie die Situation bisher ganz gut bewältigt hatte, daß sie sie vielleicht sogar kontrollieren konnte. Ed hatte immer gesagt:
»Man muß die Leute nur in einen bestimmten Glauben versetzen. Dann
kann man sie manipulieren. «
Er saß jetzt da oben und glaubte, daß sie vor Sehnsucht nach ihm fast den Verstand verlor.
Die Tür öffnen und horchen, worüber er und der Dicke sich unterhielten. Vielleicht sogar die Treppe hinaufgehen, ganz langsam und vorsichtig, Stufe um Stufe, randvoll mit Hoffnung, daß der Koffer noch in der Diele stand, daß sie ihn erreichen konnte, ohne von den beiden Männern bemerkt zu werden.
Aber das Schloß knackte, wenn man die Klinke niederdrückte, das wußte sie noch von früher, und eben erst hatte sie es auch gehört. Lieber noch warten mit der Tür, vorerst schien keine Gefahr zu bestehen. Solange sie arbeitete oder zumindest so tat, bestand für Schramm und seinen Kumpan keine Veranlassung, sie in irgendeiner Form unter Druck zu setzen.
Und das würde er tun, garantiert, sobald es auch nur den Anschein bekam, daß sie herumtrödelte. Und was er tun würde, wenn er bemerkte, daß sie ihn zu täuschen versuchte, wagte sie sich nicht vorzustellen. Er mußte nicht einmal ihr weh tun, er hatte die beiden alten Leute da oben. Frau Retling, mit dem straff zurückgekämmten Haar und den gutmütigen Augen. Und den alten Mann, den er selbst zum Krüppel geschlagen hatte.
Arbeiten hatte Albert Retling noch können, nachdem er sich von seinen Verletzungen weitgehend erholt hatte, ihr all das beibringen, was zum Handwerk gehörte und einiges darüber hinaus: die Kunst. Meine rechte Hand, hatte er sie genannt. Sein rechtes Bein hatte sie ihm nicht ersetzen können. Er hatte fast eine Viertelstunde gebraucht, um von der Diele aus in die Werkstatt zu gelangen. Und wie oft war ihm die rechte Krücke aus der Hand gefallen.
Lieber noch warten mit der Tür! Auf eine günstige
Gelegenheit, nichts herausfordern, nichts provozieren. Und im Hinterkopf tickte die Uhr. Gleich neben dem
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