Die Augen Rasputins
nieder. Das Tablett auf dem Tisch war vollgestellt mit zwei Gedecken und allem, was zu einem guten Frühstück gehörte. Sogar zwei Gläser mit Orangensaft standen darauf.
»Ich dacht’ mir, wir frühstücken zusammen. «
»Ich muß zuerst aufs Klo. «
Ihre Stimme war rauh,
wundgescheuert, aufgekratzt von den Scherben im Innern. Ed war nur eine Fassade. Ed existierte gar nicht. In all den Jahren hatte sie sich auf eine Illusion verlassen, an ein Trugbild geklammert. Nur der Teufel war Wirklichkeit. Und grausam war er, quälte sie mit seinen sanften Augen, gaukelte ihr Sicherheit und Liebe vor. Und so viel Verständnis.
»Natürlich, Püppi «, sagte er, während sie vom Stuhl aufstand und zum Waschraum ging.
Als sie Minuten später zurückkam, stand ein zweiter Stuhl beim Arbeitstisch. Er hatte ihn sich aus der Küche geholt, hatte
auch bereits die Tassen gefüllt. Doch zuerst schob er ihr eins von den Gläsern zu.
»Hier, Vitamine, schön austrinken. «
Während sie schluckweise trank – der Saft war so kühl und erfrischend, er weckte drei oder vier der winzigen Lebensgeister auf, die zwischen den Scherben die Nacht überstanden hatten –
stellte er fest:
»Scheinst ja nicht so besonders geschlafen zu haben. «
Gar nicht geschlafen, nur gestorben, stückweise, so wie ihre Mutter vor acht Monaten. Das Vertrauen war gestorben, das Vertrauen zu Ed, der unbedingte Glaube an Eds Stärke, sein Wissen und die Sicherheit, die er ihr damit gab. Davon hatte sie gelebt in all den Jahren. Aber das konnte sie ihm nicht sagen, erklärte statt dessen:
»Ich habe irgend etwas Blödes geträumt, ich weiß gar nicht mehr was. «
»Aber ich «, sagte er mit einem kleinen Lächeln. Es fuhr ihr wie ein Messer zwischen die Rippen. Sie fürchtete bereits, im Schlaf gesprochen zu haben, da fuhr er fort:
»Wir beide waren da oben im Schlafzimmer. Es war phantastisch, Püppi. Es war genau so, wie wir es uns immer vorgestellt haben, sogar noch besser. «
Er war so fürsorglich. Während er ihr von seinem Traum erzählte, von Leidenschaft und Raserei sprach, das Spiel ihrer Muskeln schilderte, so wie vor Jahren während einer Busfahrt, bestrich er eine Scheibe Brot mit Butter und Konfitüre, schob ihr den Teller zu, belegte für sich selbst eine Scheibe Brot mit dick geschnittenem Dosenfleisch und biß einmal ab. Er kaute, schluckte, sprach weiter, während er aß, beschrieb ihr den ganzen Wahnsinn. Bis wir verrückt werden.
Vielleicht war sie bereits verrückt geworden. Sie wußte es nicht genau. Ed hätte es vermutlich feststellen können, aber Ed war nur eine Farce gewesen. Sie griff ebenfalls nach ihrem Brot, biß lustlos und ohne jeden Appetit ein Stück ab, kaute darauf
herum. Was er sagte, hörte sie kaum. Sie wurde erst
aufmerksam, als das Wort Koffer fiel.
»Ich bring’ ihn dir gleich runter «, sagte er,»du willst dich ja sicher umziehen und auch ein bißchen waschen. «
Da nickte sie eifrig, schaffte es zu lächeln.
»Vor allem waschen. Am liebsten würde ich duschen, ich fühle mich so klebrig. Ich hasse das, wenn ich so verschwitzt bin. Ich hätte mich gestern abend noch gründlich waschen müssen, aber ich war einfach zu müde. «
Ihr war plötzlich so leicht, vor allem im Kopf. Sie konnte es kaum ertragen, auf dem Stuhl sitzen zu bleiben. Wurde ungeduldig, als er sich eine Zigarette anzündete. Er ließ sich so viel Zeit, betrachtete die Glut zwischen den einzelnen Zügen, seufzte genüßlich.
»Die erste morgens schmeckt immer am besten. «
»Das kann ich nicht beurteilen. «
»Nie versucht? «
fragte er, legte den Kopf ein wenig zur Seite dabei. Dann lächelte er.
»Ist auch nichts für kleine Mädchen. Ich hab’ ja damals schon immer gesagt, ich liebe es, wenn kleine Mädchen vernünftig sind und ganz genau wissen, was gut für sie ist. «
Da schwang etwas mit, das ihren Herzschlag stocken ließ. Er wußte es längst, hatte die Pistole gefunden, wartete auf ihre Erklärung. Vielleicht war es der Instinkt, der ihr zuflüsterte: Deine letzte Chance, die allerletzte. Sag etwas, Patrizia. Sag:
»Ach, bevor ich es vergesse, Heiko. Ich habe ein Überraschung für dich im Koffer. Ich habe gestern in der Aufregung vergessen, sie dir zu geben. Die Pistole meines Mannes, ob sie geladen ist, weiß ich nicht, aber ich nehme es an. Ich dachte, ich steck’ sie mal ein. Vielleicht kannst du sie gebrauchen. «
Kein Wort brachte sie über die Lippen, vielleicht auch ein Instinkt,
Weitere Kostenlose Bücher