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Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman

Titel: Die Augenblicke des Herrn Faustini - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Blick ihres Begleiters beruhigte, indem sie standhaft geradeaus schaute, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Ruhe übertrug sich nach und nach auf den Mann mit der Aktentasche, dessen rechte Schulter sich langsam senkte. Der Mann und die Frau begrüßten Herrn Faustini, als sei er ein ferner Bekannter eines fernen Bekannten von einem Stern irgendwo weit da draußen. Herr Faustini grüßte herzlich zurück, denn er ahnte, dass diese beiden Herzlichkeit brauchten. Wie mitten im Lauf erstarrt stockte der Mann mit der Aktentasche, Herr Faustini hielt sich bereit, falls er umfallen sollte. Die Frau mit dem entschiedenen Blick blieb bei ihrem Begleiter untergehakt und nach seiner Seite geneigt, ohne seine Schulter abzustützen, wenn es auch so aussah, aber es sah nur so aus. Aus der Nähe betrachtet fiel Herrn Faustini der zur Hälfte – nämlich auf der von seiner Begleiterin abgewandten Seite – verwegen aufgestellte Mantelkragen des Mannes im Trenchcoat auf. Herr Faustini hatte genug gesehen, um zu ahnen, dass diese beiden kein leichtes Leben hatten. Als führten sie einen Kampf gegen mächtige Feinde, wer immer ihre Feinde auch waren. Wieder wanderte der Blick des Mannes unruhig von einem Ende des Bahnhofsplatzes zum anderen. Herr Faustini begleitete ihn dabei, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Auffällig kann alles sein, dachte er bei sich selbst. Man muss nur wissen, wonach man Ausschau hält. Manchmal kann das Auffallende sein, dass einem eben nichts Besonderes auffällt. Doch was ist besonders und was nicht? Die Frau dort drüben, die eben ihr Fahrrad an einen Fahrradständer ankettete, wobei sie sich tief zum Schloss hinunterbeugte, ein wenig zu tief vielleicht, wie Herr Faustini bemerkte – war sie irgendwie verdächtig? Schnell spähte er zum Schuhgeschäft hinüber. Von der Anmutigen keine Spur.
    Der Mann im Trenchcoat hatte seinen Blick wieder zu Boden gerichtet, Zeichen dafür, dass ihm an der Frau nichts Besonderes auffiel. Also sah auch Herr Faustini zu Boden, wo er nichts als Asphalt erkennen konnte. Er schaute der Begleiterin des Mannes im Trenchcoat in die Augen, die liebenswürdig zurückschaute. Herr Faustini spürte Sicherheit in diesem Blick und ein angenehmes Gefühl von Gewissheit ging durch ihn hindurch. Wie er, der weder den Namen des Mannes noch der Frau kannte, noch sonst mehr von ihnen wusste, als dass sie die Welt mit müder Entschlossenheit durchwanderten – wie er zu diesem angenehmen Gefühl von Gewissheit kam, das wusste Herr Faustini nicht. Der Mann mit der Aktentasche räusperte sich, doch es war nicht eigentlich ein Räuspern, es hätte auch der Schmerzlaut eines angebundenen Tieres sein können. Langsam hob er den Blick und richtete ihn auf den Bahnhof, aber der Blick war kein Schauen, denn der Mann blieb in sich eingeschlossen und verborgen, die Augen mehr zufällig offen.
    Sie haben es wieder versucht, sagte er tonlos, von uns kriegen sie die Abstandsnachsicht nicht.
    Die Augen seiner Begleiterin zeigten noch immer das höfliche Gewissheitsleuchten. Es musste ein harter Kampf sein, so viel begriff Herr Faustini. Ein Kampf in endlosen Runden gegen einen übermächtigen Gegner. Was tun? Er könnte mit einem leichten verlegenen Kopfnicken seitwärts treten und sich davonmachen. Er war ja nicht verpflichtet, den beiden beizustehen in ihrer Schlacht. Aber es war zu spät, um einfach fortzugehen. Herr Faustini war mit diesen beiden schon durch unsichtbare Fäden verbunden, und wenn er noch lange bei ihnen herumstand, würden es gar noch Taue.
    Und dürfen die das?, hörte sich Herr Faustini fragen.
    Die tun, was sie wollen, bellte es trocken aus dem Mann im Trenchcoat. Alles Auslegungssache. Die haben das Geld und ihr Anwalt macht Eingaben. Die sind überall. Aber noch haben sie uns nicht. Wir verkaufen unsere Haut teuer.
    Herr Faustini musste an den Western denken, in dem John Wayne und eine Handvoll Texaner Alamo gegen ein Heer von zehntausend Mexikanern unter General Santa Anna verteidigen. Bis auf den letzten Mann.
    Verfassungsgerichtshof, tönte es hart aus dem Mund des Mannes, und wenn auch die sie nicht stoppen, dann gehen wir nach Straßburg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
    Die Frau nickte und hatte noch immer Gewissheit in ihren Augen. Soweit Herr Faustini sich erinnerte, gab Santa Anna den Frauen und Kindern die Gelegenheit, die Missionsstation Alamo zu verlassen. Danach gab es kein Pardon. Vor dem Schuhgeschäft: von der Anmutigen keine

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