Die Auserwaehlte
ihrem Gesicht.
Während ihre Sinne langsam zurückkehrten, erkannte sie verwirrt, daß Papewaio ihren Kopf sanft in seine Armbeuge gebettet hatte, während er ihr Gesicht mit einem feuchten Lappen betupfte. Mara öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ihr Hals zog sich zusammen. Sie hustete, schluckte dann mühsam. Sie blinzelte mit den Augen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen; aber sie begriff nur, daß ihr Nacken und Hals fürchterlich schmerzten und der Himmel über ihr in einem unglaublichen Blaugrün erstrahlte. Dann bewegte sie die rechte Hand; ein qualvoller Schmerz durchzuckte sie und brachte schlagartig die Erinnerung zurück.
»Was ist mit dem Attentäter?« fragte sie kaum hörbar.
Papewaio deutete mit dem Kopf auf eine Gestalt, die neben dem glitzernden Teich lag. »Tot.«
Mara wandte sich um; ungeachtet ihrer Schmerzen wollte sie es selbst sehen. Der Körper des Mannes lag auf der Seite, die Finger der einen Hand hingen im blutgefärbten Wasser. Er war klein und auffallend schlank, besaß einen beinahe zarten Körperbau und war in eine schlichte schwarze Robe und wadenlange Hosen gekleidet. Seine Kapuze und Maske waren jetzt zur Seite gerutscht und enthüllten ein weiches, jungenhaftes Gesicht mit einer blauen Tätowierung auf der linken Wange – eine Hamoi-Blume, stilisiert zu sechs konzentrischen Kreisen wellenförmiger Linien. Beide Hände waren bis zu den Handgelenken rotgefärbt. Mara schauderte, ihr Körper brannte noch immer bei der Erinnerung an das, was diese Hände ihr angetan hatten.
Papewaio half ihr auf die Beine. Er ließ den Lappen, ein abgerissenes Stück ihres Kleides, zu Boden fallen und reichte ihr den weißen Umhang, der eigentlich für das Ende der Zeremonie gedacht gewesen war. Mara kleidete sich an; sie beachtete die Flecken nicht, die ihre verletzten Hände auf dem zart bestickten Material hinterließen. Sie nickte, und Papewaio führte sie von der Lichtung.
Mara folgte dem Pfad, dessen Vertrautheit nicht länger Beruhigung und Trost verströmte. Der grausame Einschnitt des Seils an ihrem Hals hatte sie zu der Erkenntnis gezwungen, daß ihre Feinde sie sogar mitten im Herzen der Domäne der Acoma treffen konnten. Die Sicherheit der Kindheit war für immer vorüber. Die dunklen Hecken, die die Lichtung umgaben, schienen jetzt eine Freistätte für Attentäter zu sein, und der Schatten unter dem Ulo-Baum mit seinen weit ausladenden Ästen ließ sie erschauern. Mara rieb sich über die verletzte, blutige Hand und unterdrückte den Impuls, vor Furcht zusammenzuzucken. Obwohl sie so erschreckt war wie ein Thyza-Vogel beim Schatten eines goldenen, über ihm kreisenden Mördervogels, trat sie mit jenem Rest von Etikette durch das Zeremonientor, der von der Herrscherin eines großen Hauses erwartet wurde.
Nacoya und Keyoke warteten schon draußen, zusammen mit dem Gärtner und zweien seiner Gehilfen. Niemand außer Keyoke sprach. »Nun?« fragte er nur.
Papewaio antwortete in grimmigen, knappen Sätzen: »Wie du vermutet hast. Ein Attentäter erwartete sie. Ein Hamoi Tong.«
Nacoya breitete ihre Arme aus und schloß Mara in die Umarmung jener Hände, die seit ihrer Kindheit ihre Wunden und Verletzungen gelindert hatten. Doch zum ersten Mal fand Mara darin nur wenig Geborgenheit. »Hamoi Tong, Keyoke?« fragte sie mit einer vom Würgen immer noch krächzenden Stimme.
»Die Roten Hände der Bruderschaft der Blume, Mylady. Angeheuerte Mörder, die keinem Stamm angehören; Fanatiker, die glauben, daß Turakamu diejenigen heiligt, die töten oder getötet werden. Sie sind überzeugt, daß der Tod das einzige Gebet ist, das der Gott erhören wird. Wenn sie einen Auftrag annehmen, schwören sie, ihr Opfer zu töten oder bei dem Versuch zu sterben.« Er hielt inne, während der Gärtner spontan eine Handbewegung machte, die den Schutz der Götter erbat; der Rote Gott war sehr gefürchtet. »Dennoch haben viele der Mächtigen begriffen, daß die Bruderschaft ihr einzigartiges Gebet nur dann ausspricht, wenn der Tong eine große Summe erhalten hat«, fügte Keyoke leicht zynisch hinzu. »Und die Hamoi sind sehr anpassungsfähig, wenn es darum geht, wessen Seele dieses Gebet an Turakamu herantragen soll.« Jetzt hatte seine Stimme einen deutlich mürrischen Unterton.
»Warum wurde ich nicht schon früher darüber informiert?«
»Dies zählt nicht zu den gewöhnlichen Huldigungen Turakamus, Mylady Es gehört zu den Dingen, über die Väter mit ihren Töchtern nicht sprechen, wenn
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