Die Auserwaehlte
erklang Jicans Stimme, der gerade einen Haus-Sklaven wegen seiner Ungeschicklichkeit zurechtwies. Mara schloß die Augen. Sie war beinahe in der Lage, sich das weiche Kratzen vorzustellen, mit dem die Feder ihres Vaters über das Pergament geglitten war, wenn er Anweisungen an entfernte Untergebene niedergeschrieben hatte. Der Verrat der Minwanabi hatte solchen Erinnerungen jedoch für immer ein Ende gesetzt. Widerstrebend widmete sich Mara der still wartenden Nacoya.
Die alte Amme hatte an der anderen Seite des Tisches Platz genommen. Ihre Bewegungen waren langsam, ihr Gesichtsausdruck von Sorgen gezeichnet. Der zarte Muschelschmuck, der ihre geflochtenen Haare zusammenhielt, hing etwas schief, so als würde es mit dem Alter immer schwieriger, nach oben zu greifen, um die Haarnadel sauber anzubringen. Obwohl Nacoya nur eine Dienerin war, verstand sie viel von den Künsten und Feinheiten des Spiels des Rates. Jahrelang hatte sie Lord Sezu als rechte Hand gedient, dann seine Tochter erzogen, nachdem seine Frau bei der Geburt gestorben war. Die alte Amme war für sie wie eine Mutter gewesen, und Mara wußte nur zu gut, daß die alte Frau jetzt auf einen Kommentar von ihr wartete. »Ich habe einige schwere Fehler gemacht, Nacoya.«
Die Amme antwortete mit einem knappen Nicken. »Ja, Kind. Wäre etwas mehr Zeit zur Vorbereitung gewesen, hätte der Gärtner die Lichtung vor Eurem Eintreten untersuchen können. Er hätte den Attentäter entdeckt oder wäre getötet worden, aber sein Verschwinden hätte Keyokes Aufmerksamkeit erregt, und er hätte die Lichtung mit Kriegern umstellen können. Der Attentäter wäre gezwungen gewesen, herauszukommen oder dort drinnen zu verhungern. Wäre der Hamoi-Mörder jedoch vor dem Gärtner geflohen und hätte draußen herumgelungert, so hätten Eure Soldaten sicher sein Versteck gefunden.« Die Amme faltete ihre Hände im Schoß, und ihr Tonfall wurde jetzt härter. »Euer Feind rechnete damit, daß Ihr Fehler machen würdet … wie Ihr es ja auch getan habt.«
Mara akzeptierte die Zurechtweisung; ihre Augen folgten den trägen Dunstschleiern, die ihrer Tasse Chocha entstiegen. »Aber derjenige, der den Mörder geschickt hat, hat sich ebenso geirrt.«
»Das ist wahr.« Nacoya wandte den Blick, der in weite Ferne gerichtet gewesen war, wieder ihrer Herrin zu. »Er plante die dreifache Entehrung der Acoma, indem er Euch im Heiligen Hain der Familie töten lassen wollte, nicht ehrenvoll mit der Klinge, sondern durch Erwürgen, als wärt Ihr eine Gesetzlose oder Sklavin, die in Schande sterben mußte!«
»Aber als Frau –«
»Ihr seid jetzt eine Herrscherin«, stieß Nacoya heftig hervor. Lackierte Armreifen klirrten, als sie in einer ungeduldigen Geste mit der Faust auf ihr Knie schlug. »Von dem Augenblick an, da Ihr die Herrschaft über dieses Haus angetreten habt, Kind, seid Ihr zu einem Mann geworden, mit allen Rechten und Privilegien, die das Herrschen mit sich bringt. Ebenso wie zuvor Euer Vater als Lord der Acoma behauptet Ihr jetzt die Macht, und deshalb hätte der Tod durch den Strang genausoviel Scham über Euer Haus gebracht, als wenn Euer Vater oder Euer Bruder auf diese Weise gestorben wären.«
Mara biß sich auf die Lippe, nickte und nahm noch einen Schluck Chocha. »Und die dritte Entehrung?«
»Dieser Hundesohn von Hamoi hatte sicherlich geplant, den Natami der Acoma zu stehlen und damit den Namen Eurer Familie für immer auszulöschen. Ohne Clan und Ehre wären Eure Soldaten zu Grauen Kriegern geworden, zu Ausgestoßenen, die in der Wildnis leben müssen. Alle Eure Bediensteten hätten ihr Leben als Sklaven beendet.« Nacoya endete voller Bitterkeit: »Der Lord der Minwanabi ist sehr arrogant.«
Mara stellte die Tasse Chocha fein säuberlich in die Mitte des Tabletts. »Du glaubst also, daß Jingu dafür verantwortlich ist?«
»Der Mann ist trunken von seiner eigenen Macht. Er steht jetzt nach dem Kriegsherrn an zweiter Stelle im Hohen Rat. Sollte das Schicksal Almecho von seinem weiß-goldenen Thron stoßen, würde sicherlich ein Minwanabi sein Nachfolger werden.
Der einzige andere Feind Eures Vaters, der Euren Untergang wünscht, ist der Lord der Anasati. Aber er ist viel zu klug, um ein solch schamvolles Attentat einzufädeln – das dann auch noch so schlecht ausgeführt wird. Hätte er den Hamoi-Mörder gesandt, seine Anordnungen wären einfach gewesen: Euer Tod um jeden Preis. Der Attentäter hätte einen vergifteten Pfeil aus einem Versteck abschießen
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