Die Auserwaehlte
Männer verdienen den Tod durch den Strang.« Mara zuckte zusammen, als sie Keyokes Augen begegnete. Sie hatte nicht erwartet, daß die Strafe so hart sein würde. Der Kommandeur kratzte sich deutlich mit dem Daumen am Kinn.
Keyokes Geste warnte Mara, daß ihre Entscheidung ernste Konsequenzen haben würde. Mara blickte Papewaio an, doch dessen Gesicht war eine unlesbare Maske. Dann, kaum wahrnehmbar, nickte er einmal kurz und bekräftigte damit seine volle Zustimmung zu Keyokes Urteil.
Mara spürte Kälte in sich aufsteigen. Sie wußte, wenn sie jetzt nicht schnell und ohne Ausflüchte handelte, würde möglicherweise ein Bruch entstehen zwischen jenen, die den Acoma bereits seit Jahren dienten, und den anderen, die neu in den Dienst des Hauses getreten waren. Mara wappnete sich und wandte sich an die Soldaten. Ihre Stimme enthielt kaum beherrschte Wut. »Es gibt keine bevorzugten Männer in dieser Garnison! Es gibt nicht länger ›Neue‹ und ›Alte Wachen‹. Nur Soldaten der Acoma tragen das Grün der Acoma. Jeder von euch schwor zu gehorchen und sein Leben in den Dienst des Hauses der Acoma zu stellen.«
Sie schritt entschlossen die Reihen ab und blickte einem nach dem anderen ins abgehärtete Gesicht. »Einige von Euch kenne ich seit meiner Kindheit. Andere sind erst ein paar Wochen bei uns, aber jedem von Euch gebührt die gleiche Verantwortung dafür, das Grün der Acoma ehrenvoll zu tragen. Ich habe gerade versprochen, diesen Namen an einen anderen zu übergeben, um auf diese Weise dafür zu sorgen, daß die Acoma weiterleben werden!« Jetzt erhob sich ihre Stimme, und all die Soldaten, die zugegen waren, konnten ihre Wut erkennen. »Wer immer sich entehrt, während er das Grün der Acoma trägt, entehrt auch die Acoma und« – ihre Stimme nahm einen leisen, tödlichen Ton an – »entehrt mich.« Während die Männer ihre Aufstellung beibehielten, wanderten ihre Blicke unsicher umher, als sie sahen, daß Mara sich plötzlich den beiden Streitern zuwandte. Sie blickte hinab und sprach zu Zataki. »Ihr habt einen rechtmäßigen Befehl von einem Vorgesetzten erhalten, der von Eurem Kommandeur dazu bestimmt worden war. Ihr hattet keine andere Wahl, als zu gehorchen!«
Der Mann fiel nach vorn und drückte seine Stirn in den beißenden Staub der Straße, doch er unterließ es, Worte zu seiner Verteidigung zu stammeln, während seine Herrin sich an Kartachaltaka wandte. »Und Ihr habt die Hand gegen Euren Kameraden erhoben, während Ihr im Dienst wart!« Wie Zataki sank auch er unterwürfig zu Boden. Armreifen aus kostbarem Metall klirrten an Maras Handgelenk; es war das Verlobungsgeschenk des Lords der Anasati, und die Tatsache, daß sie als Zeichen persönlicher Bewunderung getragen werden sollten, erinnerte die knienden Männer an ihre eigene Position. In der Sonne schwitzend preßten sie sich gegen die Erde. Ihre Herrin wandte sich an ihren Kommandeur. »Diese beiden Männer haben sich der Verletzung der Ehre der Acoma schuldig gemacht. Hängt sie.«
Keyoke beauftragte sofort einige Soldaten mit der Durchführung der Exekution. Für den Bruchteil eines Augenblicks sah Mara in den Augen der beiden Verurteilten Furcht aufblitzen. Es war nicht die Furcht vor dem Tode, denn beide Krieger hätten den Tod ohne zu zögern entgegengenommen; es war die Furcht davor, zum schamvollen Tod eines Sklaven verurteilt worden zu sein: dem Tod durch den Strang. Sie hatten die Ehre eines Kriegers verloren und wußten, daß sie bei der nächsten Runde auf dem Rad des Lebens eine Stellung innehaben würden, die tiefer als ihre bisherige war – als Diener vielleicht, möglicherweise sogar als Sklave. Dann zeigten sie wieder die angemessene Maske der Tsurani. Nur indem sie diesem elendigsten aller Tode angemessen ins Auge sahen, konnten sie Gnade für die Zeit erhoffen, wenn ihr Geist und ihre Seele das nächste Mal an das Rad gebunden würden.
Mara stand reglos neben ihrer Sänfte, eine Statue aus stählerner Selbstkontrolle, während die Soldaten die Verurteilten zu einem großen Baum mit gewaltigen Ästen führten. Schnell wurden die beiden Männer ihrer Rüstungen entledigt, dann band man die Hände auf dem Rücken zusammen. Ohne Zeremonie oder ein letztes Gebet verknoteten andere Soldaten die Seile zu Schlingen, warfen sie über die Äste und legten die Schlingen um die Hälse der Männer. Das Signal erklang. Ein halbes Dutzend Soldaten zog kräftig an den Seilen; sie versuchten den Männern rasch das Genick zu brechen
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