Die Auserwählte: Roman (German Edition)
schlagen darf.
Schwarze Wolken füllten den Himmel über mir und hingen so tief, dass ich die Hand hätte ausstrecken und sie mit den Fingern berühren können, wenn mir danach gewesen wäre. Sie brodelten und wuchsen und breiteten sich aus.
Ich spürte, wie sich die elektrische Ladung aufbaute.
In den Wolken.
In mir.
Gegensätzliche Ladungen, die Kontakt zueinander herstellen mussten.
Ich stand auf und hielt die Hände in den Himmel, um die Blitze dazu zu bewegen, zu mir zu kommen.
»Mia. Mia, sieh mich an.«
Ich riss meinen Blick von dem Gewitter los, das sich über mir zusammenbraute, und sah ihn: Jeremy. Er stand am Rand des Dachs und schüttelte den Kopf.
»Es muss nicht so sein«, sagte er.
»Aber es ist so«, entgegnete ich. »So bin ich. Das ist es, was ich tun muss.«
»Du kannst es ändern.« Er sah so traurig aus, dass es mir im Herzen wehtat.
Trotzdem richtete ich den Blick wieder auf das Gewitter und reckte die Arme nach oben.
In den Wolken pulsierte Licht, aber es war nicht weiß. Es war rot. Licht mit der Farbe von Blut.
Donner hämmerte auf mein Herz ein.
Ich …
… öffnete die Augen. Lag flach auf dem Rücken. Blinzelte in einen Ring von Gesichtern. Mr Kale, Katrina, Quentin und Parker …
»Parker?« Ich setzte mich so abrupt auf, dass ich mit der Stirn gegen die Stirn meines Bruders prallte.
»Au!«, riefen Parker und ich gleichzeitig und rieben uns den Kopf. Die Erschütterung musste jedoch etwas zurechtgerückt haben, da ich mich wieder erinnerte, was geschehen war, unmittelbar bevor alles schwarz geworden war und ich geträumt hatte …
Vom Tower geträumt hatte. Von Blitzen. Und von Jeremy.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte mich Parker. »Bist du mit dem Kopf aufgeschlagen?«
Ich tastete meinen Kopf ab. Keine schmerzenden Stellen außer der, wo Parker und ich mit der Stirn zusammengestoßen waren. Ich blickte mich nach Jeremy um. »Wo ist er hin?«, fragte ich.
Keiner bekam eine Gelegenheit, mir zu antworten, denn genau in diesem Moment stürzte Schiz wieder ins Klassenzimmer und blieb vornübergebeugt und schwer atmend stehen. »Er war zu schnell«, keuchte Schiz. »Ich konnte nicht … Ich konnte nicht …«
»Du konntest deine verkümmerten Gliedmaßen nicht dazu bringen, sich schneller als im Trab zu bewegen, ohne dabei einen Herzinfarkt zu bekommen?«, sagte Katrina. »Da hätte ja ich bessere Chancen gehabt, ihn zu erwischen, und ich trage Acht-Zentimeter-Absätze.«
»Jeremy ist weggelaufen?«, erkundigte ich mich noch immer benebelt.
»Er ist lange genug geblieben, um dich aufzufangen, bevor du auf dem Boden aufgeschlagen wärst«, sagte Katrina. »Was für ein Gentleman.« Sie drehte sich wieder zu Schiz. »Hast du ihn wenigstens unter die Lupe nehmen können, bevor er dich abgehängt hat?«
»Nein!« Schiz schlug mit der Faust so fest auf einen der Tische, dass dieser krachend umfiel.
»Beruhigen Sie sich, Mr Buckley«, ermahnte Mr Kale ihn. Seine Stimme glich einem tiefen Grollen und erinnerte mich an Donner, an meinen Traum.
»Sagen Sie mir nicht, dass ich mich beruhigen soll! Er könnte ein Spion der anderen sein! Nur weil er nicht weiß gekleidet war …«
»Mr Buckley!«, rief Mr Kale in scharfem Tonfall und starrte ihn nieder. Die Luft fühlte sich mit einem Mal prickelnd an, als fände irgendeine stillschweigende Kommunikation zwischen den beiden statt. Das bildete ich mir nicht ein. Ich spürte die elektrostatische Aufladung in der Luft genauso, wie ich die elektrische Energie eines nahenden Gewitters spüren konnte.
Schiz verschränkte die Arme vor der Brust. »Okay, ich bin ganz entspannt. Sehen Sie? Ich kann nur einfach nicht glauben, dass er entwischt ist.«
»Ich schon«, sagte Katrina. »Schon mal was von einem Laufband gehört?«
»Du kannst mich mal.«
»Vorsicht, oder ich bitte Onkel Kale, dass er dich manipuliert, damit du mir in Zukunft nicht mehr frech antworten kannst.«
»Und ich werde das ablehnen«, sagte Mr Kale steif.
»Es ist meine Schuld«, warf Quentin ein. »Ich hätte ihm ebenfalls hinterherlaufen sollen. Aber ich war abgelenkt.« Quentin deutete mit einem Nicken auf Parker. »Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen, Mann.«
Parker schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich weiß immer noch nicht, was ich hier eigentlich tue.«
Katrina drehte sich zu mir, die Hände in die Hüften gestemmt. »Was hat er dir gesagt?«, wollte sie von mir wissen. Ich saß noch immer auf dem Boden, deshalb überragte sie
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