Die Auserwählte: Roman (German Edition)
Zukunft.
»Ich will …« Ich ließ ihn nicht zu Ende sprechen. Das war alles, was ich hören wollte. Ich will dich.
Ich beugte mich noch ein Stück weiter vor, bis meine Lippen auf seinen Lippen zu ruhen kamen. Sie waren warm. Unbeschreiblich warm. Wir verharrten einen Moment in dieser Position, regungslos, und unsere Lippen berührten sich einfach nur. Dann öffnete sich sein Mund, und meiner öffnete sich ebenfalls. Er stöhnte leise in mich hinein, beinahe erleichtert. Ich ließ meine Zunge tun, was sie tun wollte – die seine schmecken –, und dann brach irgendein Damm in mir, in uns beiden, und wir küssten uns mit heißhungriger Verzweiflung.
Jeremys Hände fanden meine Wangen, und seine Finger verschwanden in meinem Haar. Er zog meinen Mund fester an seinen. Seine Lippen waren so heiß, dass man sich daran hätte verbrennen können. Ich war drauf und dran, ihn zu bitten, seine Hände von mir nehmen, um mich nicht in eine seiner Visionen zu ziehen, doch ich hatte Angst, er würde dann aufhören, mich zu küssen. Und ich wollte wissen …
Ich wollte wissen, ob der Tower noch immer zu meiner Zukunft gehörte.
Deshalb bat ich ihn auch dann nicht aufzuhören, als sich meine Sicht einzutrüben begann wie eine kalte Fensterscheibe, auf die warmer Atem trifft.
In mir explodierte Hitze. Vor meinen Augen wurde alles weiß, dann sah ich wieder klar.
Der Wind schlug mir scheinbar von allen Seiten entgegen, als könne er sich nicht entscheiden, aus welcher Richtung er wehen solle. Ich konnte durch mein Haar, das mir gegen die Wangen peitschte, kaum etwas sehen.
Es lief Musik, deren Bässe wie Hammerschläge klangen, eine stampfende, chaotische Symphonie elektrischer Klänge. Doch die Musik verstummte, als am Himmel Donner grollte. Er hatte den Klang von Hunger, tief und gefräßig. Gewitterwolken zogen heran und schlossen sich zusammen wie die Fäuste einer Armee zorniger Götter, die bereit waren, die Welt zu verprügeln. Die Wolken hingen tief; ich konnte sie fast berühren, wenn ich die Hände nach oben ausstreckte.
Der Tower. Wieder. Immer. Ich stand auf dem Dach des Tower, umgeben von Körpern, die sich aneinanderrieben und zitterten und zur Musik des Donners ihre Arme in die Luft warfen.
Ein Stück Papier segelte durch die Nacht und landete auf mir. Ich packte es, ehe es wieder fortgeweht wurde, und hielt es hoch, um zu lesen, was darauf stand.
DIE PARTY ZUM ANFANG VOM ENDE
17. APRIL
AUF DEM DACH DER WELT
BITTE BEEILT EUCH, ES WIRD ZEIT
Donner krachte, rüttelte meine Knochen durch. Die Luft war elektrisch aufgeladen, und mein Blut sang im Einklang mit ihrem Vibrieren. Meine Haut tanzte, als würden sämtliche Zellen ihre Plätze tauschen. Das brannte, aber ich hatte mich noch nie so lebendig gefühlt, als wäre das Gewitter in mir.
In den blauschwarzen Wolken pulsierte weinrotes Licht, und mein singendes Blut fing an, nach Blitzen zu schreien. Nach Blitzen, die so rot waren wie die verzweigten Narben auf meiner Haut. Ich spürte, wie sich meine Arme hoben. Sich ausstreckten. Ich überließ dem Wind das Flugblatt, drehte mich um und hob das Kinn an, um den Wolken das Gesicht zuzuwenden.
»Mia.«
Durch den Haarschleier vor meinen Augen sah ich Jeremy durch das Gewühl von Körpern stürmen und auf mich zukommen.
»Du hättest nicht hierherkommen dürfen«, sagte er, und obwohl er leise sprach, verstand ich jedes Wort. »Du bist das fehlende Element. Du bist, worauf er gewartet hat.«
»Wer?«, fragte ich.
»Er.« Jeremy richtete den Blick auf etwas hinter meinem Rücken.
Auf jemanden .
Ich drehte mich um und blickte in ein milchiges Augenpaar, das nur wenige Zentimeter von mir entfernt war.
» Bitte beeilt euch, es wird Zeit. «
»Nein!« Ich wirbelte wieder zu Jeremy herum. »Zeig mir etwas anderes! Ich will den Tower nicht sehen.«
Über uns teilte ein Blitz den Himmel. Ich sah, wie er von Jeremys gequälten Augen reflektiert wurde, und der Donner, der auf ihn folgte, rüttelte meine Knochen so fest durch, dass ich dachte, sie würden brechen.
» Bitte beeilt euch, es wird Zeit. « Die Stimme flüsterte mir ins Ohr.
Ich nahm Jeremys Gesicht in die Hände und zog es ganz nah zu mir her. »Ich gehe nicht von hier weg, bis du mir eine andere Zukunft gezeigt hast. Zeig mir, wofür ich mich entscheide!«
»Ich weiß nicht, wie«, sagte er in verzweifeltem Tonfall. »Das ist alles.«
»Nein. Die Liebenden. Ich habe mich für die Liebenden entschieden. Ich habe mich für dich
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