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Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Die Auserwählte: Roman (German Edition)

Titel: Die Auserwählte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Bosworth
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ich ihr ins Haus.
    »Wie, sagten Sie, ist Ihr Name?«, fragte die alte Frau, als sie mich durch einen dunklen Flur zu einem Zimmer im hinteren Teil des Hauses führte. Im ganzen Haus hing ein Zwiebelgeruch, der mir Tränen in die Augen trieb. Es war mit typischen Wahrsagermotiven dekoriert, in Glasvitrinen waren große Brocken Kristall ausgestellt, in den Türöffnungen hingen Perlenvorhänge, und überall lagen Flickenkissen und -decken herum.
    »Den habe ich noch gar nicht gesagt«, entgegnete ich. »Ich heiße Mia.«
    »Ich bin Madam Lupescu.« Natürlich war sie das. »Setzen Sie sich doch.«
    Sie deutete auf einen kleinen runden Tisch, auf dem eine Spitzentischdecke lag. Alles, was noch fehlte, war eine Kristallkugel.
    Ich setzte mich, und sie nahm mir gegenüber Platz und starrte mich an. Dann machte sich Unbehagen breit.
    »Und«, sagte ich, da ich das Bedürfnis hatte, das Schweigen zu brechen, »wie lange sind Sie schon Hellseherin?«
    »Sind Sie gekommen, um das herauszufinden?« Ihre Augen spähten mich zwischen Augenlidern an, die wie bei einem Elefanten herunterhingen.
    »Nein, ich wollte nur …«
    »Sie wollten nur höflich sein. Ein bisschen Smalltalk machen. Zeit verschwenden, wenn es nur noch so wenig Zeit zu verschwenden gibt.« Sie lächelte und zeigte ihre gelben Zähne, die fast völlig abgenutzt waren. Dann beugte sie sich über den Tisch zu mir, und ich roch den Kaffee in ihrem Atem, was dafür sorgte, dass ich Kaffee plötzlich wesentlich weniger mochte. »Fangen wir an«, sagte sie.
    Sie holte aus einer Tasche in ihrem voluminösen Rock einen samtenen Beutel hervor, löste die Kordel und ließ einen Stapel Karten in ihre Hand gleiten. Wie Katrinas Karten sahen auch diese alt aus. Sie begann, sie zu mischen, wobei sich ihre knorrigen Finger erstaunlich behände bewegten. Dann legte sie den Stapel mit dem Gesicht nach unten auf den Tisch. »Heben Sie ab«, forderte sie mich auf.
    Ich tat, wie von mir verlangt. Madam Lupescu nahm den Stapel und teilte fünf Karten aus, die sie in der Form eines gleichseitigen Kreuzes auslegte.
    Ich betrachtete die Karten aufmerksam, dann atmete ich erleichtert die Luft aus, die ich angehalten hatte, und lächelte.
    Die Turm-Karte befand sich nicht unter den Karten, die Madam Lupescu ausgelegt hatte.
    Ich war also nicht das Tower-Mädchen.
    Ich war frei. Ich konnte aufstehen und gehen, konnte meine letzten zehn Dollar auf den Tisch werfen und auf die Tür zusteuern. Allerdings wäre es unhöflich gewesen, einfach das Weite zu suchen. Ich würde deshalb geduldig sitzen bleiben und mir Madam Lupescus Kartenlesung anhören, sie zu den Akten legen und dann mit meinem Leben fortfahren.
    »Große Arkana.« Die alte Frau pfiff, dann deutete sie mit drei Fingern auf die drei Karten in der Mitte. »Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft«, sagte sie, dann zeigte sie zuerst auf die unterste Karte und dann auf die oberste. »Vernunft und Potenzial.«
    Sie deutete auf die Karte, die meine Vergangenheit repräsentierte. Auf ihr waren eine glühende Kugel am Himmel und zwei bellende Jagdhunde abgebildet. »Der Mond. Er bedeutet Furcht. Selbsttäuschung. Orientierungslosigkeit.«
    Okay. Schön und gut.
    Sie deutete auf die Vernunft-Karte, die mir nicht gefiel. Auf ihr war eine gehörnte rote Bestie mit einem gegabelten Schwanz zu sehen, den sie um einen Mann und eine Frau gewickelt hatte.
    »Der Teufel. Er ist der Grund für Ihren Mond. Für Ihre Furcht . Er bedeutet Gefangenschaft und Unwissenheit. Sklaverei und Hoffnungslosigkeit. Aber die hier …« Sie deutete auf die oberste Karte: Potenzial. Auf ihr war ein Mann in einer roten Robe zu sehen, die mich viel zu sehr an die Umhänge der Suchenden erinnerte. Er saß auf einem Thron, hielt ein goldenes Zepter in der Hand und trug eine prunkvolle goldene Krone. »Der Hierophant.«
    Mein Mund wurde trocken. »Der … der Hierophant? Das ist mein …« Ich musste schlucken. »Mein Potenzial?«
    Die alte Frau nickte. »Er verkörpert Macht und Wissen und verlangt Respekt. Er sitzt auf dem Thron zwischen Gesetz und Freiheit, Gehorsam und Ungehorsam. Zwischen Himmel und Erde.«
    »Was ist mit den beiden?«, fragte ich schnell und deutete auf die Gegenwart und die Zukunft. Meine Gegenwarts-Karte zeigte einen geflügelten Affen, der auf einem Rad saß. »Das ist das Glücksrad, nicht wahr?«
    »Ja«, bestätigte Madam Lupescu. »Das Schicksal. Es markiert einen Wendepunkt.«
    Ich kaute auf meiner Lippe. »Und was ist mit meiner Zukunft?«

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