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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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und schmierte ein wenig der grauen Substanz darin auf meine Stirn, zu einem V-förmigen Zeichen knapp unterhalb meines Haaransatzes, dann steckte ich die Phiole wieder zurück in die Tasche und setzte meinen Weg fort.
    Das Zeichen trocknete langsam in der feuchten Luft. Es war mit ganz gewöhnlichem Forth-Schlamm aufgemalt, vom Flußufer nahe dem Hof; simpler Schlick (und höchstwahrscheinlich zum größten Teil Kuh- und Bullenschlick, wenn man die unzähligen Herden bedachte, die auf den Weiden stromaufwärts von uns weideten). Es zeichnet uns mit dem Stigma unseres Gründers und erinnert uns daran, daß unsere leibliche Hülle aus Lehm gemacht ist und eines Tages auch wieder zu Lehm werden wird.
    Wir zeichnen uns auf diese Weise allein um unserer selbst und nicht um anderer Leute willen – und ganz sicher nicht, um auf uns aufmerksam zu machen –, allerdings ist der getrocknete Schlamm im Ton kaum heller als meine Haut und wird oft von dem kurzen Pony verdeckt, der darüberfällt.
    Ich marschierte weiter an den Gleisen entlang, allein in den dahinziehenden goldenen Nebelschwaden.
    *
    Ich unterquerte die A84 mittels eines matschigen Fußgängertunnels und überquerte den Teith mittels der breiten, gewölbten Oberseite einer ansonsten in der Erde vergrabenen Ölpipeline.
    Hier, nahe der A84, hatte ich zum ersten Mal geheilt, an jenem Tag, als Allan und ich den Fuchs im Feld fanden. Wann immer ich an dieser Stelle vorbeikam, hielt ich nach einem Fuchs Ausschau und dachte an jenen Hochsommertag zurück, daran, wie sich das Tier in meinen Händen angefühlt hatte, und an den Geruch des Feldes und an die weit aufgerissenen Augen meines Bruders.
    Als ich später zum Hof zurückgekehrt war, ganz langsam schlendernd und an einem Strohhalm kauend, hatte man mich schnurstracks zu meinem Großvater gebracht. Er hatte mich angebrüllt, bis ich heulte, weil ich so nah an der Straße gespielt hatte, dann hatte er mich an sich gedrückt und mir erklärt, daß ich offensichtlich von meinem verstorbenen Vater das Gespür geerbt hatte, mit Tieren umzugehen, und wenn ich je etwas anderes zum Leben erweckte, sollte ich es ihn umgehend wissen lassen; es könne sein, daß ich eine Gabe besaß.
    Seit damals habe ich Leiden und Schmerzen und Zipperlein gelindert und bei Geburten in Ställen und Scheunen geholfen. Von den unzähligen Hamstern, Kätzchen, Welpen, Lämmern, Zicklein und Küken, die mir über die Jahre von weinenden Kindern gebracht wurden, habe ich wohl eins oder zwei wieder ins Leben zurückgeholt, wie ich glaube, aber ich würde niemals darauf schwören, und außerdem ist es in Wahrheit Gott, der heilt, nicht ich (und dennoch frage ich mich: Wirkt es auch auf Distanz?).
    Was meine Heilkräfte bezüglich Menschen angeht, bin ich sogar noch skeptischer, auch wenn ich weiß, daß ich zweifellos irgend etwas spüre, wenn ich ihnen die Hand auflege. Persönlich neige ich eher zu der Überzeugung, daß es ihr eigener Glaube an den Schöpfer ist, der sie heilt, als irgendeine Kraft meinerseits, aber ich vermute, es wäre falsch zu leugnen, daß da etwas Geheimnisvolles vor sich geht, und ich hoffe, das, was ich als meine Demut erachte, entpuppt sich nicht als Kleinmütigkeit.
    *
    Ich erreichte die Carse of Lecropt Road, die zwischen dem Greenocks-Hof und dem Westleys-Hof entlangführt, überquerte die M9-Autobahn und unterquerte die Stirling-Inverness- Eisenbahnbrücke und kam schließlich nach Bridge of Allan, wo schon reger Verkehr von Schulbussen, Pendlern und Lieferwagen herrschte. Bridge of Allan ist eine hübsche kleine Stadt am Fuß eines bewaldeten Hügelkamms. Als ich kleiner war, habe ich meinem Bruder geglaubt, wenn er behauptete, die Stadt wäre nach ihm benannt.
    Der Weg am Ostufer von Allan Water entlang führt erst durch den kühlen, schattigen Wald des Kippenross-Anwesens, bevor er das untere Ende des Dunblaner Golfplatzes umrundet – wo ein paar Frühaufsteher schon ihre Golfschläger schwangen und ihre Bälle über den Rasen trieben – und mich schließlich fast zum Stadtzentrum von Dunblane führte, so daß mich nur noch die breite Durchgangsstraße und ein paar kleinere Gassen von der Kathedrale trennten. Der Nebel hatte sich gelichtet, der Morgen war warm, und mittlerweile trug ich meine Jacke über der Schulter und meinen Hut in der anderen Hand; ich hielt den Hut mit den Zähnen fest, während ich mir mit den Fingern mein klammes Haar in die Stirn kämmte.
    Ich trödelte ein ganz klein wenig in der

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