Die Auserwählte
sich einst eine kleine Gleisbrücke zog, zu den Feldern; ich stieg die grasbewachsene Böschung hinauf und begann meinen Marsch entlang der alten Bahnstrecke.
*
Über den alten Bahndamm spannten sich wabernde Brücken aus goldenem Nebel, die im kühlen Morgenlicht träge dahinzogen und immer wieder einen flüchtigen Blick auf unsere Kühe, Schafe und Weizenfelder erlaubten; eine Gruppe von Erretteten, die in der diesigen Ferne einen Graben aushob, grüßte und winkte, und ich schwenkte zur Antwort meinen Hut.
Während ich so durch die Felder spazierte, breitete sich wie üblich jenes Gefühl von Ruhe und Loslösung in mir aus, diesmal vielleicht etwas verstärkt von den schimmernden, verhüllenden Nebelschleiern, die mich sowohl von der Gemeinde als auch von der Außenwelt abschnitten.
Ich dachte an Großvater Salvador und seine Warnung bezüglich Reportern. Ich fragte mich, wie ernst er es wohl gemeint hatte. Ich habe nie daran gezweifelt, daß unser Gründer ein weiser und bemerkenswerter Mann ist, der über Einsichten verfügt, die ihn zu Recht auf eine Stufe mit den großen Propheten früherer Zeiten stellen, aber wie er selbst sagte, hat Gott Humor (wer könnte sein Werk, die Menschheit, betrachten und daran zweifeln?), und mein Großvater liebt es, uns diese Tatsache immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, indem er unsere Leichtgläubigkeit verhöhnt. Nichtsdestotrotz vertrauen einige von uns einem Propheten um so mehr, wenn er eingesteht, uns gelegentlich zu foppen.
Zugegeben, mein Großvater leidet an einer Art von Besessenheit, was die Medien anbelangt, und dies schon, seit er unsere Glaubensgemeinschaft gegründet hat. Das Problem mit den Medien – und gewissen behördlichen Stellen – ist, daß sie sich gelegentlich einfach nicht ignorieren lassen wollen. Die Abwendung von den meisten Aspekten des modernen Lebens läßt sich gemeinhin einfach nicht dadurch bewerkstelligen, daß man ihnen aus dem Weg geht (wenn man sich zum Beispiel weigert, Geschäfte zu betreten, dann kann man zumeist darauf vertrauen, daß die Besitzer nicht herauskommen und einen mit Gewalt in ihren Laden zerren), doch die Presse, ebenso wie Polizei oder Sozialarbeiter, bringen es fertig, einem unerbittlich auf den Pelz zu rücken, wenn sie vermeinen, guten Grund dafür zu haben.
Am schlimmsten war es Anfang der Achtziger, als es eine Anzahl vermeintlicher Enthüllungen in den Zeitungen und zwei Fernsehberichte über unseren »bizarren Liebeskult«, wie sie es nannten, gab. Es handelte sich dabei zumeist um unausgegorenen Unsinn über absonderliche Sexrituale, in die Welt gesetzt von abtrünnigen Konvertiten – allesamt sehr tragische Fälle –, die festgestellt hatten, daß die Arbeit auf dem Bauernhof zu anstrengend und der Zugriff auf den weiblichen Körper bei weitem nicht so mühelos war, wie sie gehört oder sich ausgemalt hatten. Die schändlichste dieser Verleumdungen deutete an, daß auch die Kinder der Gemeinde an diesen Praktiken teilhatten, und drohte mit der Einschaltung der Behörden.
Ich war damals noch klein, aber ich bin stolz, daß wir darauf so vernünftig reagierten, wie wir es taten. Vertreter der Schulbehörde und des Gesundheitsamtes bestätigten, daß wir jüngeren, in der Gemeinde unterrichteten Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter gebildeter und gesünder waren als die meisten unserer Altersgenossen, und die Lehrer der weiterführenden Schulen überschlugen sich schier, die herausragenden Leistungen und die Disziplin der älteren Gemeindekinder zu loben, die zu ihnen kamen. Ebenso konnten wir darauf verweisen, daß noch nie ein minderjähriges Mädchen, das unter der Obhut unserer Gemeinschaft stand, schwanger geworden war. Gleichzeitig erhielten Reporter die Gelegenheit, solange sie es wünschten in der Gemeinde zu wohnen und sich dort umzusehen, vorausgesetzt, sie brachten die Bereitschaft, für ihre Unterbringung zu arbeiten, Notizbücher statt Cassettenrecordern und einen Zeichenblock anstelle einer Kamera mit.
Großvater Salvador war die Offenheit selbst und – obgleich er höflich jede Antwort auf Fragen über seine Kindheit und frühen Jahre verweigerte – so bemüht um die Seelen der wenigen Reporter, die tatsächlich ihren Weg zu uns fanden, daß er es auf sich nahm, ihnen Abend für Abend und Stunde um Stunde seine Vorstellungen und seine Philosophie zu erläutern. Das Interesse erlosch beinahe enttäuschend schnell, auch wenn eine Reporterin noch ein halbes Jahr bei uns blieb; ich
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