Die Auserwählte
vergeblich auf die Stimme Gottes lauschte.
Trotzdem fand ich keinen Schlaf, sondern ging nur immer und immer wieder im Geiste all die seltsamen Geschehnisse durch, die sich jüngst in meinem Leben ereignet hatten: Morags scheinbare Abneigung gegen mich, die lüsternen Avancen meines Großvaters und jetzt Onkel Mo, der anrief, sturzbetrunken und offensichtlich in dem Glauben, er würde mit einem Anrufbeantworter sprechen, wo doch die Woodbeans niemals einen solchen besessen hatten, und jetzt anscheinend auf dem Weg, um jemanden abzuholen – mich?
Was ging hier vor? Was geschah mit meinem Leben?
Es war schon genug Schlechtes und Irrwitziges geschehen, ohne daß auch noch Onkel Mo darin verwickelt wurde. Onkel Mohammed ist der Bruder von Calli und Astar; ein gutaussehender, wenn auch vorzeitig gealterter Schauspieler Anfang Vierzig, der die Gemeinde an seinem sechzehnten Geburtstag verlassen hatte, um in London – wo auch sonst? – Ruhm und Reichtum zu suchen, und der tatsächlich, bevor ich geboren wurde, zu gewissem Ruhm gekommen war, als er eine Rolle in einer in Manchester spielenden Fernseh-Seifenoper bekam. Ein boshafter Zeitungskritiker, der auch nicht annähernd so beeindruckt von Mos schauspielerischen Fähigkeiten war wie Mo selbst, hatte meinen Onkel einmal als »Mohammlet« tituliert, was für einigen Wirbel in der Moslemgemeinde – zu der Mo, als Apostat, nun gehörte – sorgte, der erst durch eine offizielle Entschuldigung und eine Gegendarstellung wieder beschwichtigt werden konnte. Mo wurde vor fast einem Jahrzehnt aus der Fernsehserie herausgeschrieben und lebt nun in Spayedthwaite, nahe der Stadt Bradford, wo er sehr gelegentlich Arbeit als Schauspieler findet und ansonsten – wie man gerüchteweise hört – in einem indischen Restaurant kellnert, um seine Miete zu verdienen.
Ich glaube, mein Großvater ist mehr erzürnt darüber, daß Mo seinen Lebensunterhalt durch das Fernsehen verdient, als über seinen Übertritt zu einem anderen Glauben, aber ich bin sicher, beides hat ihn verletzt; die Chronik jener ersten Generation derer, die in den Glauben hineingeboren wurden, liest sich nicht gut – Brigit und Mo waren zu anderen Religionen übergetreten, und Rhea hatte sich durch Eheschließung dem Kult der Wahren Seichtheit in Basingstoke angeschlossen. Auf den Schultern von Calli und Astar und meinem Vater hatte eine schwere Verpflichtung geruht, und dann war er uns bei dem Brand genommen worden; so war die ganze Last meinen Stieftanten zugefallen, die in gewisser Hinsicht seinen Platz wie auch den Platz ihrer Mutter und ihrer Tante einnahmen. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, daß unsere Gemeinschaft leicht hätte stolpern und fallen können, wäre da nicht die Hingebung und die Entschlossenheit dieser beiden Frauen gewesen.
Ich hatte Onkel Mo ein paarmal getroffen und betrachtete ihn als einen armen Tropf, wir verbannen oder verstoßen niemanden, selbst wenn er seinem Glauben abschwört, also war Onkel Mo uns auch weiterhin als Gast willkommen, und als solcher war er auch zu jedem Fest der Liebe erschienen. Er besaß eine oberflächliche Stattlichkeit und Herzlichkeit, die sich bei näherem Hinsehen schnell als brüchig und zerbrechlich herausstellte; darunter lagen Verzweiflung und Einsamkeit. Ich glaube, er wäre vielleicht wieder zu uns zurückgekehrt und hätte möglicherweise sogar wieder in der Gemeinde gelebt, aber mittlerweile hatte er zu viele Bindungen im Norden Englands und hätte sich, wo immer er hingegangen wäre, entwurzelt und fremd gefühlt, und so hatte er sich – nach seiner persönlichen Gleichung der Sehnsucht und der Zugehörigkeit berechnet, die er wohl für seine Lage aufgestellt hatte – entschlossen, bei seinen selbstgewählten Bundesbrüdern zu bleiben, statt in den Schoß seines ursprünglichen Glaubens zurückzukehren.
Das letzte Mal war er für das Fest vor vier Jahren bei uns gewesen, als er mir frank und frei erklärte, daß er auf der Suche nach einer Ehefrau sei (jedoch keine fand). Ich hatte angenommen – tatsächlich war ich damals sogar überzeugt gewesen –, daß er nur Spaß machte, als er mich fragte, ob ich ihn heiraten wolle. Wir hatten beide gelacht, und ich bin immer noch sicher, daß er nur einen Scherz gemacht hatte, aber jetzt war er auf dem Weg hierher, oder nicht? »Ich komme, um sie zu holen«, hatte er gesagt. Wen? Mich? Vielleicht Morag? Jemand anders? Doch noch wichtiger war, warum? Und auf wessen Geheiß hin?
Ich
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