Die Auserwählte
hielt Sophi umklammert, wie ein Ertrinkender einen Rettungsring festhält, drückte sie, bis sie im Schlaf seufzte und murmelte. Sie regte sich in meinen Armen, nicht ganz erwacht. Ich entspannte mich, beruhigt von der körperlichen Versicherung, daß sie da war. Es kam mir so vor, als könnte ich spüren, wie sich die Welt um mich herum drehte, völlig außer Kontrolle, sinnlos, verrückt und gefährlich, und sie wäre das einzige, woran ich mich festhalten konnte.
Das Rauschen der Toilettenspülung hallte über den Flur. Ich versuchte, das Geräusch in einen Abfluß für meine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu verwandeln, wollte ihm meine Verwirrung, meine Nöte und meine Ängste überantworten, auf daß mein Kopf wieder frei und bereit für den Schlaf wäre, nach dem mein Körper sich so sehnte. Aber dann kam mir dieses Bild so absurd vor, und ich ertappte mich dabei, wie ich im Dunkeln den Kopf schüttelte und mich selbst für meine Dummheit schalt. Ich war sogar imstande, die Andeutung eines Lächelns zuwege zu bringen.
Schließlich kam der Schlaf auch zu mir, jedoch erst nach vielen weiteren Durchläufen jenes langen, verwirrenden und aufwühlenden Tages und vielen weiteren Versuchen, endlich damit aufzuhören, über all die Geheimnisse um mich herum nachzugrübeln.
Ich träumte von einer weitläufigen, schwankenden Landschaft aus bebendem Bettzeug und der Verfolgung durch etwas, das ich nicht sehen konnte, das immer gerade hinter dem zitternden Horizont war, aber gleichzeitig doch erschreckend nah und beängstigend. Vage nahm ich unruhige Bewegung und einen warmen Kuß wahr, doch als ich schließlich richtig aufwachte, war Sophi längst fort, und ich war allein mit einem schon halb vergangenen Tag, der Sonne und Niederschläge brachte.
*
Mr. W war ebenfalls fort. Ich benutzte das Badezimmer der Woodbeans und machte mir etwas Toast und Tee. Ich las die Nachricht – in Sophis Handschrift –, die Großmutter Yolanda tags zuvor für mich hinterlassen hatte und in der sie mir die Telefonnummer ihres Hotels in Stirling nannte und mitteilte, daß sie ein Doppelzimmer gebucht hätte, in dem ich jederzeit Zuflucht suchen konnte. Sie hatte mir auch ihre Flugnummer und ihre heutige Abflugzeit hinterlassen. Ich schaute zur Uhr auf dem Kaminsims; mittlerweile würde sie schon auf dem Flughafen sein.
Ich wartete einen kleinen Regenschauer ab, dann ging ich unter den tropfenden Bäumen zurück zur Gemeinde.
Ich nickte einigen Brüdern und Schwestern zu, die mein Nicken erwiderten – verhalten, wie es mir schien. Ich ging geradewegs in das Büro im Herrenhaus, wo Schwester Bernadette an dem Schreibtisch neben der Tür saß und langsam tippte.
»Schwester Isis!« begrüßte sie mich, offenkundig verwirrt. Sie stand auf und lächelte nervös.
»Schwester Bernadette«, sagte ich. »Ist Allan da?«
»Er ist beim Gründer«, erklärte sie mir. »Soll ich ihn bitten…?«
»Bitte.«
Sie wandte sich zum Gehen. »Oh«, rief ich sie noch einmal zurück, »und weißt du vielleicht auch, wo mein Seesack ist?«
»Ich glaube, Allan sagte… ich werde danach suchen, Schwester Isis«, sagte sie und ging eilig aus der Tür und über den Flur.
Ich warf einen Blick auf den Brief, den sie gerade tippte. Er sah aus wie ein Spendengesuch; er war an Tante Brigit adressiert, die, die nunmehr bei dem Millennialisten-Kult in Idaho lebte. Auf der einen Seite neben der Schreibmaschine lag ein Stapel ähnlicher Briefe und auf der anderen eine lange Liste mit Namen und Adressen in einem alten Schulheft, die Spalten bis zu Brigits Namen hinunter abgehakt. Die Liste schien nicht alphabetisch. Ich ließ meinen Blick suchend an der Liste entlang wandern, bis ich Cousine Morags Namen entdeckte, doch im selben Augenblick hörte ich Schritte auf dem Flur. Morags alte Adresse in Finchley war ausgestrichen worden, ebenso wie ihre Telefonnummer. Die vollständige Anschrift des La Mancha war handschriftlich nachgetragen worden. Die Schritte hatten schon fast die Tür erreicht… Und da war auch eine Telefonnummer, nein; da standen drei Telefonnummern neben der Adresse in Essex. Ich spürte, wie mir vor Verblüffung die Kinnlade herunterklappte.
Ich trat eilig ans Fenster, keinen Augenblick zu früh, bevor Allan ins Büro kam, in der Hand meinen Seesack. Er schloß die Tür hinter sich und stellte den Seesack ab. Ich versuchte, meine verwirrten Gedanken zu ordnen.
»Isis«, sagte Allan, während er die Tasche neben der Tür abstellte. Er trug
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