Die Auserwählte
versteckt haben, damit es soweit kommt, wie es jetzt gekommen ist? War das von Anfang an seine Absicht? Ich kann das nicht glauben, aber welche Erklärung gibt es sonst? Gibt es doch einen Teufel, und hat er sich seiner bemächtigt?«
»Du bist die Theologin«, bemerkte sie. »Mich darfst du nicht fragen. Für mich ist er schlichtweg ein alter geiler Bock.«
»Aber er ist unser Gründer!« protestierte ich; ich setzte mich auf und ergriff ihre Hand. »Er hat alles für uns getan; hat so viel Wahrheit offenbart, hat uns das Licht gebracht. Daran glaube ich noch immer. Ich vertraue noch immer in unseren Glauben. Ich glaube noch immer an ihn. Ich kann nur einfach nicht glauben, daß das wirklich er ist; es ist so, als wäre er vom Teufel besessen.«
»Er ist alt, Isis«, sagte Sophi leise. »Vielleicht hat er Angst vor dem Sterben.«
»Was?« rief ich aus. »Aber er wird in die Herrlichkeit Gottes übergehen! Auf der anderen Seite erwartet ihn ein Abenteuer, im Vergleich zu dem dieses ganze Leben klein und nichtig anmuten wird. Der Tod birgt für uns keine Furcht!«
»Selbst Heilige haben gelegentlich Zweifel«, gab Sophi zu bedenken. »Hast du dich je gefragt, ob du dich irrst?«
»Nein!« rief ich entsetzt. »Nun, ja, aber nur, weil die Orthographie uns auffordert, über solche Dinge nachzudenken; wir müssen stark im Glauben sein, aber wir dürfen nicht blind glauben. Doch solche theoretischen Zweifel stärken unseren Glauben nur. Wie kann Salvador wirklich an dem zweifeln, was er selbst geschaffen hat?«
»Nun, vielleicht ist es genau das«, sagte Sophi und zog ihre Nase kraus, während sie nachdenklich dreinschaute. »Ihr alle könnt euch immer an ihn wenden, wenn ihr zweifelt, aber er selbst hat nur Gott. Du weißt schon: Ganz oben ist es einsam und dieser ganze Mist; die ganze Last ruht auf seinen Schultern, und was man noch alles sagt.«
»Aber er kann sich an uns alle wenden«, erwiderte ich, obgleich ich sah, was sie meinte.
»Nun, wie dem auch sei, heilige Männer sind immer noch Männer. Vielleicht hat er sich nur zu sehr daran gewöhnt, alle Frauen in der Gemeinschaft zu bekommen, die er haben will.«
»Aber so ist es nicht!« protestierte ich.
»Ach, komm schon, Isis. Genauso ist es doch.«
»Aber es wurde niemals Zwang ausgeübt. Es ergibt sich ganz natürlich; unser Glaube ist ein Glaube der Liebe, in all ihren Formen. Wir schämen uns dessen nicht. Und er ist… war… ist noch immer, vermute ich… ein attraktiver Mann; charismatisch. Jeder findet das; Frauen haben sich immer von ihm angezogen gefühlt. Ich meine, das tun sie immer noch«, erklärte ich. Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. »Meine Güte, mich braucht er nun wirklich nicht.«
»Vielleicht bist du so was wie die verbotene Frucht«, wandte Sophi ein.
»Ach, ich weiß auch nicht!« jammerte ich; ich warf mich abermals gegen ihre Brust und umklammerte ihre duftende Wärme. »Morag geht mir aus dem Weg, Großvater stellt mir nach; jemand verunglimpft mich…«
»Wie bitte?« fragte sie verwirrt.
»Verunglimpft mich; bringt mich in Mißkredit. Die ganze Sache mit dem Zhlonjiz. «
»Oh.«
»Was passiert bloß mit meinem Leben?« sagte ich. »Was ist los?«
Sophi zuckte die Achseln, und ich konnte spüren, wie sie den Kopf schüttelte.
In diesem Moment klingelte das Telefon in der Diele. Wir horchten auf. »Keiner von euch, offensichtlich«, sagte sie nach dem siebten Klingeln. Sie klopfte mir auf den Rücken. »Ich sollte besser rangehen; vielleicht möchte Dad, daß ich ihn abhole…«
Sie ging hinaus in die Diele.
»Hallo?« Dann eine Pause. »Hallo?… Hallo?«
Sie steckte den Kopf zur Tür herein und sah mich grinsend an, den Hörer am Ohr.
»Ich weiß nicht, was…« sagte sie, dann runzelte sie die Stirn. Sie schüttelte den Kopf, so daß ihr langes Haar eine Sinuskurve in der Luft zeichnete. »Ich kann Musik hören… Klingt so, als würde etwas… als würde jemand am Hörer nesteln…« Sie machte ein komisches Gesicht, zog die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel nach unten, während die Sehnenstränge an ihrem Hals vortraten.
Sie hielt mir das Telefon hin, und noch während sie das tat, drang ein metallisches Scheppern aus dem Hörer und dann eine leise Stimme, die etwas schrie. Sophis Gesicht verzog sich amüsiert. Sie hielt den Hörer von sich weg und starrte ihn fragend an, dann hob sie ihn wieder vorsichtig an ihr Ohr.
Ich stand vom Sofa auf. Etwas am Tonfall jener Stimme Sophi hielt den Hörer ein
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