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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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schon gehört, daß du… Ist mit dir alles in Ordnung?«
    Ich konnte nicht sprechen; ich versuchte es, aber ich konnte nicht. Statt dessen fing ich wieder an zu weinen: stumm, hilflos, hemmungslos. Sophi zog mich zu sich über die Schwelle; sie ließ das Buch fallen und nahm mich in die Arme.
    »Isis, Isis, Isis!« flüsterte sie.
    *
    Die immer wohlgemute Sophi ist nun schon seit fast vier Jahren mein Trostspender. Ich weiß, eines Tages wird sie den guten, netten Mann finden, nach dem sie sich sehnt, und wird mit ihm fortgehen, um ganz Hausfrau zu sein und Babys zu bekommen. Das wird das Ende unseres innigen Verhältnisses bedeuten, und ich hoffe, daß ich weise genug sein werde, dies zu akzeptieren und das Beste aus unserer Freundschaft zu machen, solange sie besteht. Ich habe mich gefragt, ob ich Sophi liebe, und ich denke, die Antwort lautet ja, obgleich es die reine Liebe einer Schwester ist, nicht die einer Begehrenden. Ich habe sie gefragt, ob sie mich liebt, und sie hat gesagt, sie würde es tun, von ganzem Herzen, aber sie besitzt ein großes Herz, glaube ich, und es wird immer auch Platz für andere darin sein. Vielleicht werde ich nie ganz dort ausziehen, aber ich weiß, daß mein derzeitiger Platz eines Tages von jenem guten, netten Mann eingenommen werden wird. Ich hoffe, ich werde nicht eifersüchtig sein. Ich hoffe, daß sie ihn findet, aber ich hoffe auch, daß es nicht allzu schnell geschieht.
    Mr. Woodbean war an jenem Abend ausgegangen. Ich lag in Sophis Armen auf dem Sofa im Wohnzimmer, ihre Bluse durchnäßt von meinen Tränen, ihre in Jeans steckenden Beine verschlungen mit den meinen. Sophis Haar hat die Farbe von frischem Stroh. Ihre Augen sind blau mit braunen Flecken, wie Ozean-Welten mit verstreuten Inseln. Sie streichelte mir den Kopf, so wie ich mir vorstellte, daß eine Mutter es tun würde.
    Ich hatte eine Weile an ihrer Schulter geschluchzt, nachdem sie mich ins Wohnzimmer gebracht hatte, dann hatte sie mich aufs Sofa gesetzt, und ich hatte meine Fassung genügend zurückgewonnen, um ihr von meiner Reise und meinen Abenteuern zu erzählen – das hatte mich beruhigt, und wir lachten sogar ein paarmal –, dann war ich zu den Ereignissen dieses Abends gekommen, und ich war abermals zusammengebrochen, hatte die Geschichte ausgespien, als wäre sie Übelkeit, hatte sie zwischen tiefen Schluchzern herausgespuckt und -gewürgt, bis schließlich die ganze Galle aus mir heraus war und ich alles mit meinen Tränen fortwaschen konnte.
    »O Isis«, hauchte Sophi, als ich zum Ende gekommen war. »Bist du sicher, daß mit dir alles in Ordnung ist?«
    »Oh, ganz sicher nicht«, erwiderte ich schniefend. Sie reichte mir ein weiteres Papiertaschentuch aus einer Schachtel, die sie geholt hatte, als ihr klargeworden war, daß ich eine tränenreiche Geschichte zu erzählen hatte. »Aber ich bin unversehrt, wenn du das meinst.«
    »Er hat dir nicht weh getan?«
    »Nein.« Ich hustete, dann räusperte ich mich. Ich trocknete mir die Augen mit dem Papiertaschentuch. »Außer daß ich mich so fühle, als hätte man mich… ausgeweidet, als wäre alles aus mir herausgerissen worden, als wäre nur noch eine große Leere in mir, wo einst…« Ich schüttelte den Kopf. »… wo einst alles gewesen ist. Mein Leben, mein Glaube, meine Familie; die Gemeinde.«
    »Was willst du jetzt tun?«
    »Ich weiß es nicht. Ein Teil von mir will auf der Stelle zurückgehen und offen vor sie alle treten, auf daß sie meine Seite der Geschehnisse hören; ein anderer Teil möchte einfach nur weglaufen.«
    »Warum bleibst du heute nacht nicht hier?« schlug sie vor und zog mein Gesicht zu ihrem hoch. Sie hat ein rundes, sonnengebräuntes Gesicht mit zarten braunen Sommersprossen, die sie zu hassen vorgibt.
    »Würde das denn gehen?«
    »Natürlich«, sagte sie und umarmte mich.
    Ich legte meinen Kopf wieder an ihre Brust. »Er hat gesagt, er wolle mich nicht wiedersehen, bis ich komme, um zu beichten und mich zu entschuldigen. Aber das kann ich nicht.«
    »Das solltest du auch nicht«, knurrte sie gespielt grimmig und drückte mich.
    »Ich weiß nicht, was er den anderen sagen wird, was er ihnen erzählen wird. Ich möchte so gern glauben, daß er wieder zur Besinnung kommt und erkennt, daß das, was er zu hören vermeinte, ein falsches Signal war, daß er bereut und mich um Vergebung bittet; daß… O Sophi; ich weiß auch nicht.« Ich hob meinen Kopf und starrte ihr in die Augen. »Kann er die Phiole in meinem Seesack

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