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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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für das Thema erwärmt. »Träume können dich zerstören, Isis.«
    »Wirklich?«
    »O ja«, sagte er und klang verbittert. »Ich hatte Träume, Isis. Ich träumte von Ruhm und Erfolg und davon, ein bewundernswerter Mensch zu sein, ein Mensch, den die Leute erkennen würden, ohne mir je begegnet zu sein. Verstehst du, Isis?« Er griff über den Tisch und umfaßte meinen Arm. »Das alles habe ich mir für mich erträumt. Ich war jung und dumm, und ich hatte diese Vorstellung, daß es wunderbar wäre, geliebt zu werden, ohne Grund, einfach nur, weil die Leute einen von der Bühne oder vom Film oder aus dem abscheulichen Flimmerkasten, dem Fernsehen, kannten. Aber ich war zu jung, um zu erkennen, daß es nicht wirklich du bist, den sie lieben; es ist deine Rolle, die Figur, die du spielst, und darin bist du voll und ganz der Gnade der Autoren, der Produzenten, der Regisseure, der Cutter und wem sonst noch ausgeliefert.« Er schnitt eine Grimasse, als hätte er in etwas Saures gebissen. »Alles Lügner und Egoisten; der ganze Haufen! Sie kontrollieren die Rolle, die du spielst, und sie können dich mit ein, zwei getippten Sätzen auf der Schreibmaschine vernichten, mit ein paar achtlos hingekritzelten Zeilen auf einem Memo, ein paar Worten in der Kaffeepause.«
    Er lehnte sich kopfschüttelnd zurück. »Aber ich war damals noch jung und dumm. Ich dachte, alle würden mich lieben; ich konnte nicht verstehen, daß es so viel Zynismus und Selbstsucht in der Welt gibt, besonders in gewissen, sogenannten ›künstlerischen‹ Berufen. Die Welt ist ein grausamer und gefühlloser Ort, Isis«, erklärte er düster, während er mich mit seinem wäßrigen Blick fixierte und seinen Plastikbecher hob. »Ein grausamer, grausamer Ort.« Er trank einen tiefen Schluck.
    »Das stelle ich auch gerade fest, Onkel«, sagte ich. »Ich entdecke Verderbtheit und Selbstsucht selbst im Herzen unseres – «
    »Es war immer schon so, Nichte«, fiel mir Onkel Mo gestikulierend ins Wort und verzog sein Gesicht abermals zu jenem säuerlichen Ausdruck. »Du bist jetzt das Unschuldslamm; du hast deine Träume, und ich hoffe, daß sie dir nicht nur Verbitterung bringen, so wie sie es bei mir taten, aber jetzt ist deine Zeit gekommen, und du entdeckst, was wir alle entdecken, egal, wohin wir gehen. Es gibt so viel Gutes an unserem Glauben – nun, an deinem Glauben –, aber er ist trotzdem Teil der Welt, der grausamen, grausamen Welt. Ich weiß mehr als du; ich bin schon länger auf der Erde, ich habe Verbindung gehalten, selbst wenn ich nicht da war, verstehst du?«
    »Ach.«
    »Und so habe ich viel gehört; vielleicht mehr, als wenn ich in der Gemeinde geblieben wäre.« Er beugte sich vor, das Kinn beinahe auf dem Tisch, und tippte sich gegen die Nase. Ich beugte mich ebenfalls vor. »Ich weiß Bescheid, Isis«, erklärte er mir.
    »Wirklich?« sagte ich in meinem atemlos-unschuldigen Tonfall und machte große Augen.
    »O ja«, erwiderte Onkel Mo und lehnte sich nickend wieder zurück. Er richtete sein Jackett und klopfte auf die Wölbung, unter der sich seine Brieftasche befand. »O ja. Es gibt da Geheimnisse. Gerüchte.« Er schien einen Moment lang zu überlegen. »… ich weiß Bescheid.«
    »Du meine Güte.«
    »Es ist nicht alles nett und freundlich, Isis«, sagte er eindringlich. »Nicht alles nett und freundlich. Es hat auch… dunkle Momente gegeben.«
    Ich nickte und schaute nachdenklich aus dem Fenster, während der Zug kurz von der Küste wegschwenkte, um in Berwick-upon-Tweed einzufahren. Er bremste ab, hielt aber nicht an; Onkel Mo und ich genossen den Ausblick, während der Zug über einen langen, gebogenen Steinviadukt über den Fluß ratterte und vor dem Fenster die verwinkelte Altstadt am steilen Nordufer des Flusses, die jüngeren, einheitlicheren Häuser auf dem flacheren Südufer und die Straßenbrücken zwischen den beiden vorbeizogen, die sich als Umrisse gegen das ferne Meer und die Wolken abzeichneten.
    »Ich denke, unser Glaube hatte seinen Anteil an Kummer«, griff ich schließlich den Faden wieder auf.
    Onkel Mo betrachtete nickend den Ausblick. Ich füllte sein Glas mit der letzten der vier Miniaturflaschen auf.
    »Der Verlust von Luskentyre«, fuhr ich fort, »der Tod meiner Eltern und Großmutters Tod, und man könnte in gewisser Hinsicht sogar den Verlust deiner Mutter, meiner Großtante Zhobelia, hinzuzählen, die zwar noch am Leben sein soll, für uns aber doch verloren ist. All dies – «
    »Ah, siehst du!«

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