Die Auserwählte
dem Kleiderschrank und dem Kopfteil des Bettes in Topecs Zimmer fest – beide Möbelstücke waren massiv genug, um das Gewicht zu tragen, und beide waren außerdem in solch altmodisch verzierter Weise gefertigt, daß es fast peinlich war, die Schnur der Hängematte um die geschnitzten Schnörkel und abgerundeten Vorsprünge zu knoten. Ich zog Jacke, Hemd und Hose aus, kletterte in meine Hängematte und schlief beinahe augenblicklich ein.
Ich bekam nur vage mit, daß viel später noch eine Party stattfand. Topec schlich sich herein und flüsterte mir zu, daß er Glück gehabt und mit Stephen das Zimmer getauscht hätte, damit er mit seiner neuesten Eroberung allein sein konnte, aber Stephen störte mich während der Nacht nicht – ganz so, wie Topec es versprochen hatte –, und ich erwachte munter und früh am nächsten Morgen zu Stephens komatösem Schnarchen. Ich stand auf, wusch mich und zog mich an, bevor einer der anderen aufwachte.
Das Wohnzimmer hatte einen Teppich aus dicht an dicht liegenden schlafenden Leibern. Ich stellte mich an den Tisch in der Diele, um eine Nachricht für Topec und einen Brief an Großmutter Yolanda zu schreiben, dann ging ich aus dem Haus, um einen Briefkasten zu suchen.
Sophi – an die am vorangegangenen Abend mein zweiter Anruf nach dem Gespräch mit Mr. Womersledge gegangen war – kam eine halbe Stunde später in ihrem kleinen Morris und fand mich auf der Eingangstreppe zur Wohnung sitzend vor, wo ich ein belegtes Brötchen aus einem kleinen Laden ein Stück die Straße runter aß.
Sophi kam ganz sommerlich in Jeans und einem gestreiften T-Shirt daher; ihr Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie gab mir einen Kuß, als ich in den Wagen einstieg.
»Du siehst müde aus«, bemerkte sie.
»Vielen Dank. Genauso fühle ich mich auch«, gab ich zurück. Ich hielt ihr die weiße Papiertüte aus dem kleinen Laden hin. »Möchtest du ein belegtes Brötchen?«
»Ich habe schon gefrühstückt«, erwiderte sie. »Also.« Sie klatschte in die Hände. »Wohin zuerst?«
»Nach Mauchtie, in Lanarkshire«, erklärte ich ihr.
»Na gut«, sagte sie und fuhr los.
Der Tag und der letzte, entscheidende Teil meines Feldzugs hatten begonnen.
*
Es war mir in den Sinn gekommen, daß es sich als unklug, ja sogar katastrophal erweisen könnte, Zhobelia zurück in den Schoß unserer Familie und der Gemeinde zu holen, so ich entscheiden sollte, bezüglich der Vergehen meines Großvaters Stillschweigen zu wahren. Wie hoch standen die Chancen, daß sie ihre Zunge hüten konnte, was das Soldbuch und das Geld betraf, jetzt, wo der Damm dieses Geheimnisses gebrochen war? Sie bei uns wohnen zu lassen konnte sehr wohl bedeuten, daß die Wahrheit über kurz oder lang doch ans Licht kam und vielleicht auf sehr schädliche Art und Weise: ganz allmählich, durch Gerüchte und Tratsch.
Aber ich konnte sie auch nicht in jenem Pflegeheim lassen; es war zwar hinreichend sauber, Zhobelia hatte ein großzügiges Zimmer, sie fand offenkundig Ansprache bei den anderen Heimbewohnern, und sie hatte sich nicht sonderlich über irgend etwas beschwert, aber es hatte alles so lieblos gewirkt, so kalt im Vergleich zur Wärme der Gemeinde. Ich mußte sie dort fortholen. Wenn ich dadurch gezwungen sein würde, die Wahrheit zu offenbaren, dann ließ sich das nicht ändern; ich würde nicht das Glück meiner Großtante derart kleinmütiger Zweckdienlichkeit opfern. Außerdem hatte ich mir geschworen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, auch wenn mein Instinkt eher zum Verbergen denn zum Enthüllen neigte.
Nun, wir würden sehen.
Wir folgten dem schwachen Verkehrsstrom durch die Stadt. Ich erzählte Sophi eine gekürzte Version meiner kurzen, doch ereignisreichen Reise mit Onkel Mo, meines Treffens mit Morag, meiner Audienz bei Großtante Zhobelia und der Zeit, die ich bei Bruder Topec verbracht hatte. Vorerst erwähnte ich noch nichts von dem Soldbuch, der Zehnpfundnote und allem anderen, was Zhobelia mir erzählt hatte.
»Und wonach hast du in der Bibliothek gesucht?« fragte Sophi.
Ich schüttelte den Kopf und vermochte nicht, sie anzusehen. »Ach, nur so altes Zeug«, erwiderte ich. »Dinge, von denen ich fast wünschte, ich hätte sie nicht herausgefunden.« Ich schaute zu ihr hinüber. »Dinge, von denen ich noch nicht weiß, ob ich sie jemandem erzählen sollte.«
Sophi warf mir einen kurzen Blick zu und lächelte. »Nun, das ist schon in Ordnung.«
Und damit wollte sie es offenbar bewenden lassen,
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