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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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seltsam und lächerlich die Bewegungen doch anmuten konnten. Wie sonderbar, daß wir solches Vergnügen daraus ziehen konnten, einfach nur rhythmisch zu hopsen.
    Ich vermute, man könnte das Bedürfnis zu tanzen mit dem Sexualtrieb in Verbindung bringen, und gewiß gibt es in beidem sowohl eine vergleichbare Regelmäßigkeit der Bewegungen als auch eine gewisse Mischung zwischen Werbung und Vorspiel in der Art und Weise, wie zwei Menschen sich auf der Tanzfläche begegnen, doch ich hatte schon kleine Kinder und sehr alte Leute an Tanzfesten in der Gemeinde teilnehmen sehen und hatte auch selbst bei derartigen Gelegenheiten getanzt, und ich könnte schwören, daß nichts Sexuelles daran war; ich hatte die offenkundige Freude bei Jung und Alt beobachtet und selbst eine Art transzendentalen Vergnügens in mir gespürt, von dem ich noch überzeugter bin, daß es nicht das geringste mit der Fleischeslust zu tun hatte, einmal abgesehen davon, daß jenes Gefühl schön und angenehm war.
    Tatsächlich kam das Hochgefühl, das ich während des Tanzens empfunden hatte, eher einer religiösen Ekstase – wie ich sie verstand – denn sexueller Wonne gleich; man löste sich in beinahe mystischer Weise aus sich selbst und wurde auf eine andere Ebene der Existenz erhoben, wo die Dinge klarer und einfacher und gleichzeitig profunder wurden und das eigene Selbst in Frieden und Erkenntnis badete.
    Gewiß war diese Wirkung beim Tanzen nur schwer zu erreichen und brauchte ihre Zeit (mir kamen die wirbelnden Derwische und die afrikanischen Stammestänzer in den Sinn, die die ganze Nacht hindurch tanzten) und konnte auch immer nur ein schwaches Abbild der tiefen Verzückung sein, die Gläubige erlebten… aber immerhin war es besser als nichts, wenn nichts die einzige Alternative war. Vielleicht lag darin die Erklärung für die Attraktivität, die das Tanzen in unserer zunehmend gottlosen und materialistischen Gesellschaft offenkundig für so viele junge Menschen besaß.
    Die Menschen waren schon eine seltsame Spezies, dachte ich bei mir, ganz so als wäre ich ein Außerirdischer, der die Erde besuchte.
    Ich gehöre hier nicht her, ging es mir durch den Sinn. Mein Platz ist bei den Menschen in der Gemeinde, und deren Zukunft liegt nun in meinen Händen. Mit einen Mal wollte ich nur noch fort aus dem Lärm und der Hitze und dem Rauch, die den Saal erfüllten, und so lieh ich mir Topecs Schlüssel, überließ ihm dafür den Rest meines Biers, stand auf, entschuldigte mich und ging davon; ich trat hinaus in die klare schwarze Nacht und atmete die kühle Luft ein, als hätte man mich nach langen Jahren der Gefangenschaft aus einem modrigen Kerker entlassen.
    Die Sterne waren im gleißenden Lichtermeer der Stadt kaum auszumachen, doch der Mond, kaum noch einen Tag vom Vollmond entfernt, schien mit fast ungeschmälerter Kraft und so gelassen wie immer herab.
    Ich kehrte nicht auf direktem Weg zur Wohnung zurück, sondern schlenderte eine Weile durch die Straßen, noch immer geplagt von meinen widersprüchlichen Gefühlen, während mein Gewissen und mein Wille von den gegensätzlichen Argumenten, die mir die Seele zerrissen, hin und her geworfen wurden. Schließlich führten mich meine Schritte auf die Brücke, die die Great Western Road über den Kelvin trägt, und ich lehnte mich an die Steinbalustrade und blickte auf den dunklen Fluß tief unter mir, während der Verkehr donnernd in meinem Rücken dahinbrauste und Gruppen von Leuten hinter mir vorbeigingen.
    Ganz allmählich breitete sich ein Gefühl des Friedens und der Ruhe in mir aus, während ich dort stand und nachdachte und nachdachte und versuchte, nicht nachzudenken. Es war so, als ob die im Widerstreit liegenden Kräfte meiner Seele sowohl so ausgeglichen als auch so haargenau auf ihren jeweiligen Gegner ausgerichtet waren, daß sie einander schließlich aufhoben, sich gegenseitig in eine Pattsituation, in die völlige Erschöpfung und endlich zum Stillstand, wenn auch nicht zu einer Lösung trieben.
    Möge geschehen, was geschehen soll, dachte ich bei mir. Die Gestalt der Zukunft war bereits halb entschieden, und ich würde einfach abwarten müssen, wie alles schließlich enden würde, mußte die Dinge auf mich zukommen lassen, statt jetzt in allen Einzelheiten zu entscheiden, was ich tun würde. Wenigstens konnte ich noch eine Nacht über meine Entscheidung schlafen.
    Schlafen ist eine gute Idee, überlegte ich.
    Ich kehrte zur Wohnung zurück, machte meine Hängematte zwischen

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