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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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keine Lorbeeren damit verdienen, einen bereits grundguten Mann zu einem etwas besseren zu machen, doch das Wunder zu vollbringen, aus einem schlechten Menschen einen tugendhaften zu schmieden, stellte schon eine beachtliche Leistung dar und verdiente besondere Anerkennung. Aber konnten derartige Überlegungen das unausweichliche Gefühl des Verrats wettmachen, das die Leute zwangsläufig empfinden würden?
    Wie viele Anhänger würden wir verlieren, wenn diese Wahrheit ans Licht kam – etwas, für das Sorge zu tragen ich geschworen hatte? Auf wie viele Konvertiten konnten wir noch hoffen, wenn Großvaters Vergangenheit allgemein bekannt wurde? Sollte ich nun meinen früheren Eid zurücknehmen und, wie schon meine Großmutter und meine Großtante, die häßliche Wahrheit zugunsten des Allgemeinwohls zurückhalten? Was wäre mein Wort dann noch wert? Welchen Respekt könnte ich noch vor mir selbst haben, wenn ich ein gerade erst gegebenes inbrünstiges Versprechen so bereitwillig aufgab, sobald seine Konsequenzen sich als weitreichender und ernster erwiesen, als ich erwartet hatte?
    Nun, mein Respekt vor mir selbst war wohl beileibe nicht der wichtigste Punkt, um den es hier ging, sinnierte ich; wichtig war allein das Fortbestehen der Gemeinde und das spirituelle Wohl der großen Mehrheit von untadeligen Menschen darin. Ich war überzeugt, daß ich, so ich meinem Eid abschwören und das schreckliche Geheimnis meines Großvaters für mich behalten sollte, mit diesem Wissen beruhigt schlafen könnte, ohne daß es mich verseuchen oder vergiften würde.
    Aber wäre es recht, dem bereits verworrenen Netz aus Lügen noch eine weitere, wenn auch wohlgemeinte, hinzuzufügen, wenn die Wahrheit sie mit einem Schlag allesamt fortwischen und uns einen Neuanfang bieten würde – gerecht, unbefleckt und ohne daß die bösartige, gefährliche Bedrohung jenes Verrats über unseren Köpfen schwebte? Hatte ich recht – und hatte ich das Recht – anzunehmen, daß unser Glaube so schwach war, daß er vor unangenehmen Tatsachen beschützt werden mußte? Könnte es auf lange Sicht nicht besser sein, sich der Wahrheit zu stellen und die möglichen Folgen, die Abkehr von Gläubigen und den Entzug von Unterstützung, zu erdulden, zuversichtlich darauf vertrauend, daß was – und wer – blieb, zuverlässig und stark und durch und durch vertrauenswürdig und abgehärtet gegen alle zukünftigen Unbilden wäre?
    Und sollte ich verkünden, ich hätte die Gabe, nur ich allein; ich bin es, und die Gabe wurde von meiner Großtante an mich weitergegeben, nicht von meinem Großvater? Sollte ich es auf mich nehmen, die gesamte Ausrichtung unseres Glaubens zu ändern und einen weiteren Irrglauben anzuprangern, der uns bislang so teuer gewesen war, einen weiteren Flecken trügerischen Treibsands, den wir bislang für unverrückbaren Fels gehalten hatten?
    Und bei Gott, selbst meine Gabe war nicht unbestritten, soweit es mich selbst betraf; da war ich erfüllt von selbstgerechtem Zorn ob der Lügen meines Großvaters, wenn doch noch immer die Frage bezüglich der Rechtmäßigkeit meines eigenen Ruhms in der Luft hinge, hätten die Menschen um meine Selbstzweifel gewußt. Das Problem, ob meine Gabe auch auf Distanz Wirkung zeigen konnte, mit dem ich mich nun schon seit über einem Jahrzehnt herumschlug, nahm im gegenwärtigen Klima des zersetzenden Argwohns eine neue, gewagtere Bedeutung an, und mit einem Male mutete die Hoffnung, an die ich mich geklammert hatte, daß ich vielleicht über eine größere Gabe verfügte, als die Leute ahnten, doch recht fragwürdig an.
    »Mach doch nicht so’n Gesicht, Isis; sonst passiert nie was«, sagte Topecs Freund Mark und zwinkerte mir über den mit Gläsern vollgestellten Tisch zu.
    Ich bedachte ihm mit einem nachsichtigen Lächeln. »Ich befürchte, es ist schon längst passiert«, erklärte ich ihm und trank mein Bier.
    Ich stieg aus dem System des abwechselnden Runden-Bezahlens aus, außerstande und nicht bereit mitzuhalten.
    Ich begleitete die Burschen zu dem Tanzfest und trank weiter langsam Bier aus Plastikbechern, doch ich war nicht wirklich mit dem Herzen dabei. Ich fand die Musik langweilig und die Männer, die zu unserer Gruppe kamen, um mich zum Tanzen aufzufordern, nicht interessanter als die Klänge. Selbst als Topec mich aufforderte, konnte ich mich nicht überwinden, auf die Tanzfläche zu treten. Statt dessen stand ich nur da, beobachtete alle anderen beim Tanzen und sinnierte darüber, wie

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