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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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einem Baum baumelte; ich riß ihn ab, schnitt mit meinem Taschenmesser die wenigen verbliebenen Zweige ab und hatte so schon bald einen brauchbaren Wanderstab, der mich auf meinem Weg begleiten konnte. Die alte Eisenbahnbrücke führte mich fast drei Meilen weit auf mein Ziel zu, abwechselnd über den abendlichen Berufsverkehr hinweg und darunter hindurch; die Luft war geschwängert mit dem Gestank von Auspuffgasen und der Himmel erhellt von lodernd roten Wolken, während ich auf den Treidelpfad des Old Union Canal wechselte und dann dem Fußweg folgte, der an einigen Schulhöfen vorbeiführte. Den letzten Teil meiner Reise legte ich in fast völliger Dunkelheit zurück, ein durchaus günstiger Umstand, da mich mein Weg an einem Abschnitt der Eisenbahnstrecke entlangführte, die noch immer gelegentlich befahren wurde. Ich versteckte mich im Gebüsch oben am Bahndamm, als eine Diesellok donnernd aus Osten um die Kurve gerattert kam, gefolgt von einem langen Zug offener, doppeldeckiger Waggons voller Autos.
    Das rote Schlußlicht des letzten Wagens blinkte so schnell wie ein pochendes Herz, als es hinter der Biegung im Durchstich verschwand, und ich blieb noch einen Moment lang geduckt stehen und dachte nach.
    Nach einer Weile erhob ich mich wieder und setzte meinen Weg entlang der Gleise fort, kam durch einen stillgelegten Bahnhof und marschierte dann unter einer belebt klingenden Straßenkreuzung hindurch, bis ich endlich nur noch zwei, drei Straßen von Gertie Possils Haus im wohlhabenden Edinburgher Vorort Morningside entfernt war, wo ich gerade rechtzeitig eintraf, um an einem Nachtmahl zur Feier meines Besuchs teilzunehmen.

 
Kapitel
Fünf
     
     
    »Gesegnete Isis! Geliebte Isis! O was für eine Ehre! Wir sind zutiefst geehrt! Ach! Ach!«
    Schwester Gertie Possil – zierlich, weißhaarig, gebrechlich und gut und gern alt genug, um meine Großmutter zu sein – machte das Zeichen, stellte die Paraffinlampe, die sie in der Hand hielt, auf einem schmalen Tisch ab und warf sich mir zu Füßen, dann kroch sie vorwärts, bis sie meine Stiefel berühren konnte, die sie streichelte, als ob es kleine, zarte Tiere wären.
    Gertie Possil war in irgend etwas Haferfarbenes und Fließendes gekleidet, das sich um sie herum auf den schwarzweißen Fliesen der Diele ausbreitete wie eine Porridge-Lache. Hinter mir klappte die Tür mit der Buntglasscheibe zu.
    »Vielen Dank, Schwester Gertie«, sagte ich und machte meinerseits das Zeichen, ein wenig peinlich berührt, daß man mir die Stiefel tätschelte. »Bitte, steh auf.«
    »Willkommen, willkommen in unserem bescheidenen, unwürdigen Haus!« rief sie aus, während sie sich wieder vom Boden erhob. Ich half ihr den letzten halben Meter hoch, indem ich sie am Ellbogen faßte, und sie starrte mit offenem Mund zuerst auf meine Hand und dann auf mein Gesicht. »Oh, tausend Dank, Gesegnete Isis!« sagte sie und tastete nach der Brille, die an einer Kordel vor ihrer Brust baumelte. Sie setzte die Brille sorgfältig auf und stieß einen tiefen Seufzer aus, während sie mich sprachlos anstarrte. Hinter ihr in der schummrigen Diele des großen, dunklen Hauses stand ein hochgewachsener, grobschlächtiger Mann mit einem großen, fast kahlen Kopf. Das war Gerties Sohn Lucius. Er trug einen schweren, purpurnen Morgenrock über einer dunklen Hose und Schuhen mit Gamaschen. Eine altmodische Krawatte bauschte sich zusammengedrückt unter seinem Doppelkinn. Er strahlte mich an und rieb sich nervös seine fleischigen Hände.
    »Mhm, mhm, mhm…« sagte er.
    »Laß Lucius dein Gepäck nehmen, du wunderbares Kind, du«, sagte Gertie Possil zu mir und wandte sich dann zu ihrem Sohn um. »Lucius! Das Gepäck der Gesalbten; siehst du? Hier! Du grober Klotz! Was ist denn los mit dir?« Sie schüttelte tadelnd den Kopf, während sie ehrfürchtig meinen Wanderstab nahm und ihn gegen den Garderobenständer lehnte. »Dieser Junge!« seufzte sie.
    Lucius schlurfte ungelenk heran und rempelte dabei etliche Möbel in der Diele an. Ich reichte ihm meinen Seesack. Er nahm ihn, breit lächelnd und nickend, wobei sein Adamsapfel auf und ab hüpfte wie der Kopf einer Taube.
    »Sag der Geliebten, daß es dir eine Ehre ist!« wies Gertie ihn an und versetzte ihm dabei mit der flachen Hand einen erstaunlich kräftigen Schlag gegen den Bauch.
    »Ehre! Ehre!« stammelte Lucius, noch immer breit grinsend, während er heftig nickte und schwer schluckte. Er schwang sich den Seesack über die Schulter und rempelte damit

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