Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
verkauften sie auch Alkohol, bis das Finanzamt sie in die Schranken wies und ihnen die Feinheiten des Konzessionssystems erklärte (glücklicherweise forderte man die beiden Schwestern nicht auch noch auf, einen Führerschein vorzuweisen). Sie verdienten kaum ihren Lebensunterhalt, sie mußten in ihrem Lieferwagen schlafen, sie bestellten immer zu viel oder zu wenig Waren, sie lagen beständig im Streit mit den Rationierungsstellen, und sie waren zutiefst unglücklich ohne ihre Familie, aber wenigstens waren sie frei, und außer einander und dieser Freiheit hatten sie nichts, woran sie sich festhalten konnten.
    An jenem Tag, bevor das Unwetter den Horizont verdunkelt hatte, hatten sie ihr Bettzeug auf den Steinen eines Flusses gewaschen, der in Loch Laxdale mündete, und es zum Trocknen zurückgelassen, während sie in Lewis ihren Geschäften nachgingen.
    (Lewis und Harris wurden als jeweils eigenständige Inseln betrachtet, obgleich sie tatsächlich durch eine – am Himalaya gemessen – kleine, doch beeindruckend zerklüftete Bergkette verbunden und getrennt sind. Das Harris-Volkchen ist gemeinhin kleinwüchsiger und dunkler als die Einheimischen von Lewis; die Legende schreibt dieses Phänomen den amourösen Bemühungen von Horden dunkelhäutiger Spanier zu, die nach dem Zerschellen von Armada-Schiffen an den felsigen Gestaden von Harris angespült worden waren, doch vermutlich erklärt sich der Unterschied schlicht und einfach durch keltische beziehungsweise nordische Abstammung.)
    Als die Schwestern schließlich durch die schnell heraufziehende Dunkelheit des Nachmittags zurückeilten, hatte es schon zu regnen angefangen, und als sie die Stelle erreichten, wo sie ihr Bettzeug zurückgelassen hatten, hatte der Wind das meiste davon gegen einen Stacheldrahtzaun geweht und den Rest in den angestiegenen Fluß geworfen. Der Regen peitschte mittlerweile fast horizontal, und die Laken und Decken am Zaun hätten kaum nasser sein können, hätte man sie in den Fluß getaucht. Die Schwestern retteten ihr triefendes Bettzeug und suchten Zuflucht in ihrem Lieferwagen, den sie in eine Senke in den Dünen fuhren, damit sie vor dem Unwetter geschützt waren.
    Und so saßen sie in ihren Mänteln da und hielten einander umklammert, während die kleine Duftkerze in der Zugluft flackerte, umgeben von Teekisten und Kartons mit Schmalz – gleichermaßen Symptom von Aasnis Unfähigkeit, einem guten Geschäft zu widerstehen, wie auch der, im Hinterkopf zu behalten, wie wenig Lagerplatz sie hatten; unterdessen sammelte sich das Wasser von ihren Laken um ihre Füße und drohte, die Säcke mit Zucker, Mehl und Puddingpulver, die sich unter den Borden stapelten, aufzuweichen.
    Dann ertönte plötzlich ein Krachen, als etwas Schweres gegen die seewärtige Seite des Lieferwagens geschleudert wurde. Die beiden Frauen fuhren erschreckt zusammen. Draußen stöhnte eine Männerstimme, kaum hörbar über das Tosen des Windes und der Wellen.
    Sie hatten eine Laterne; sie stellten die kleine Duftkerze hinein und wagten sich hinaus in die sturmgepeitschte Finsternis des tobenden Unwetters. Auf dem sandigen Gras neben dem Lieferwagen lag ein junger weißer Mann in einem billigen Anzug; er hatte schwarzes Haar und eine schreckliche, klaffende Wunde an der Stirn, aus der das Blut quoll, nur um augenblicklich vom peitschenden Regen fortgewaschen zu werden.
    Die beiden Frauen schleppten ihn zur offenen Hecktür des Lieferwagens; der Mann kam zu sich, stöhnte abermals und schaffte es, sich einen Moment lang aufzurichten; dann sackte er auf den Boden des Lieferwagens, und die beiden Frauen zogen ihn weit genug hinein – auf dem vom Wasser und nun auch vom Blut glitschigen Boden –, um die im Wind schlagende Hecktür zu schließen.
    Der stöhnende Mann war totenbleich und zitterte am ganzen Leib; Blut tropfte aus seiner Stirnwunde. Sie wickelten ihn in ihre Mäntel, doch er hörte nicht auf zu zittern; Aasni erinnerte sich daran, daß sich Leute, die den Ärmelkanal durchschwammen, mit Fett einschmierten, und so holten sie das Schmalz heraus (von dem sie, dank eines verlockenden Graumarktgeschäftes mit einem Mann in Carloway, der etliche am Strand angespülte Kisten gefunden hatte, mehr als genug hatten), warfen alle falsche Scham über Bord, zogen den Mann bis auf seine triefnasse Unterhose aus und machten sich daran, ihn mit Schmalz einzuschmieren. Er zitterte immer noch. Noch immer tröpfelte Blut von seiner Stirn; die beiden Frauen säuberten die

Weitere Kostenlose Bücher