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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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aufzeichnet, das um eine Metalltrommel gewickelt ist – ein Gerät, das von Bruder Indra entworfen und aus den Teilen eines alten Tonbandgeräts, einer Uhr und eines Barometers gebaut wurde.
    Natürlich steht hinter dem Ganzen auch ein gewisser Sicherheitsaspekt; wenngleich mein Großvater auch nicht mehr überzeugt war, daß es eine spezielle Sonderabteilung der Regierung gab, deren Aufgabe einzig in der Überwachung und dem Schikanieren unserer Gemeinschaft bestand, und in der letzten Zeit auch die sensationslüsternen Geiferer der Presse wenig Interesse an uns zu haben scheinen, ist es doch immer klug, auf der Hut zu sein, denn – wie mein Großvater gerne betont – es ist gerade der Überraschungsangriff, der Überfall, den man unternimmt, wenn das Opfer sich erst einmal in Sicherheit wiegt und in seiner Disziplin und Wachsamkeit nachlässig geworden ist, der am vernichtendsten trifft. Einige ungnädige Abtrünnige haben unterstellt, das ganzer Ritual wäre einzig durch den Wunsch motiviert, bei den Telefonrechnungen zu sparen, und es ist nicht zu leugnen, daß es den zusätzlichen Nutzen einer beachtlichen Kostenersparnis besitzt; jedoch beweist wohl allein schon die schiere Umständlichkeit der Verfahrensweise einen heiligeren, reineren Zweck.
    Als ich meinen Anruf beendet hatte, gesellte ich mich zu Gertie in die Küche und schaute zu, wie sie das Abendessen bereitete. Auf dem Herd stand ein Kessel, umgeben von mehreren gußeisernen Töpfen, die alle langsam zu köcheln begannen und den Raum mit Düften erfüllten, daß einem das Wasser im Munde zusammenlief. »Gesegnete Isis!« rief Gertie aus, während sie einen Klacks Schmalz auf jeden der drei großen Porzellanteller gab, auf denen schon kleine Häufchen mit Teeblättern lagen. »Du sagtest, du wärst hungrig.«
    »Das bin ich in der Tat«, gestand ich.
    Wir aßen im Eßzimmer, an einem langen Tisch aus dunkel schimmerndem, poliertem Holz, in dessen Mitte hohe Kerzen, Gewürze, eingemachte Früchte, eingelegte Gemüse und Körbe mit gesäuertem und ungesäuertem Brot standen. Das Abendessen wurde in der gebührlichen Feierlichkeit zelebriert. Das Schmalz und der Tee am Tellerrand, so wie auch die Weihrauchkerzen und ein so erlesenes Hauptgericht wie Wildbret Tikka Pasanda bewiesen den festlichen Charakter dieses Mahls. Ich sprach den Segen, ich legte das erste Stück von jedem Gericht auf, ich las aus der Orthographie und zeichnete die Stirnen von Gertie und Lucius mit dem Schlamm, den ich in der Phiole von zu Hause mitgebracht hatte; ich plauderte sogar ein wenig mit den Possils und berichtete ihnen, was sich in der letzten Zeit so alles in der Gemeinde zugetragen hatte; sie hatten uns seit gut einem Jahr nicht mehr besucht, und obgleich sie hofften, in vier Wochen am Fest der Liebe teilzunehmen, waren sie doch dankbar dafür, schon jetzt auf den neuesten Stand gebracht zu werden.
    Ich nahm das angebotene Bad an, auch wenn ich bereits im Stehen einzunicken drohte, nur um dann kinntief im lauwarmen Wasser eingetaucht aus dem Schlaf zu schrecken, während Gertie so laut, wie es die Ehrfurcht erlaubte, an die Badezimmertür klopfte. Ich versicherte ihr, daß ich wieder wach sei, spülte und trocknete mich ab und begab mich zu meinem Schlafzimmer. Es war das beste Zimmer im Haus, mit einem großen viktorianischen Himmelbett, das ich noch von meinem letzten Besuch, drei Jahre zuvor, erinnerte. Das Bett war ideal für meine Zwecke, da es mir nicht nur erlaubte, meine Hängematte zwischen zwei der robusten Pfosten festzumachen, sondern auch, sie so auszurichten, daß mein Kopf in Richtung unserer Gemeinde zeigte. Ich schlief tief und fest und träumte von nichts, an das ich mich erinnern könnte.
    *
    Als ich am nächsten Morgen den Inhalt meines Seesacks ordnete, fand ich ganz unten am Boden etwas Unerwartetes und ganz Besonderes; etwas, von dem ich gar nicht wußte, daß ich es bei mir trug. Es war eine winzige Phiole, eingewickelt in ein Stück Papier, das von einem Gummiband gehalten wurde. »Für Notfälle. S.«, stand auf dem Zettel. Mit einiger Mühe öffnete ich das winzige Glasgefäß und roch an der dunklen, fast schwarzen Salbe darin.
    Es war Zhlonjiz; jener unbezahlbare, unersetzliche Balsam, der für uns kostbarer und verehrungswürdiger ist als Gold, Weihrauch und Myrrhe für die Christen… nein, noch weit kostbarer; es ist so, als ob wir unseren eigenen Gral besäßen, der aber immer noch wundertätig und benutzbar wäre. Ich hatte von

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