Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
bedrohliche Schatten; die Klingen, Stöcke und fies aussehenden Gerätschaften schienen nur darauf zu warten, ein Eigenleben zu entwickeln und den Ersten zu töten, der dumm genug war in ihre Nähe zu kommen. Der feuchte, modrige Geruch machte die gruselige Atmosphäre des Raums komplett.
»Da hinten gibt es eine versteckte Kammer«, erklärte Minho, während er an ein paar Regalen vorbei auf eine dunkle Ecke zuging. »Die kennen nur ein paar von uns.«
Thomas hörte eine alte Holztür knarren und sah, wie Minho einen Karton über den Boden schleifte, was knirschte wie ein Messer, das an einem Knochen schabt. »Ich hab die Karten aus jeder Truhe in einen eigenen Karton gepackt, insgesamt acht. Sie sind alle hier.«
»Welcher ist das?«, fragte Thomas. Er kniete sich daneben, weil er sofort loslegen wollte.
»Mach ihn einfach auf und schau nach – auf jeder Seite steht’s drauf, schon vergessen?«
Thomas zog an den über Kreuz ineinandergesteckten Deckellaschen, bis der Karton aufging. Die Karten von Abschnitt zwei lagen in einem unordentlichen Haufen darin. Thomas griff hinein und zog einen Stapel heraus.
»Okay«, sagte er. »Die Läufer haben immer die Karten der aufeinanderfolgenden Tage miteinander verglichen, um zu sehen, ob es ein Muster gibt, das ihnen einen Ausgang zeigt. Du hast sogar gesagt, dass ihr nicht wirklich wisst, wonach ihr sucht, aber ihr sucht trotzdem weiter. Richtig?«
Minho nickte mit verschränkten Armen. Er machte ein Gesicht, als würde gleich jemand das Geheimnis ewigen Lebens preisgeben.
»Also«, fuhr Thomas fort. »Was wäre, wenn die Bewegungen der Wände nichts mit einer Karte oder einem Labyrinth oder so was zu tun hätten? Was, wenn das Muster stattdessen Wörter ergibt? Einen Hinweis, der uns bei der Flucht hilft.«
Minho zeigte auf die Karten in Thomas’ Händen und seufzte frustriert. »Alter, hast du eine Ahnung, wie genau wir uns diese Dinger angeschaut haben? Glaubst du nicht, dass wir gemerkt hätten, wenn sie verfluchte Wörter ergeben würden?«
»Vielleicht kann man das mit bloßem Auge nicht erkennen, wenn man nur einen Tag mit dem nächsten vergleicht. Und vielleicht soll man nicht einen Tag mit dem nächsten vergleichen, sondern sich immer bloß einen Tag anschauen?«
Newt lachte. »Tommy, ich bin vielleicht nicht der Hellste hier, aber für mich klingt das wie kompletter Schwachsinn.«
Während er redete, überschlugen sich Thomas’ Gedanken. Die Antwort war direkt vor seiner Nase – er konnte fast danach greifen. Sie war bloß schwer in Worte zu fassen.
»Okay, okay«, setzte er noch mal neu an. »Ein Läufer ist immer für einen Abschnitt zuständig, oder?«
»Genau«, antwortete Minho. Er bemühte sich wirklich Thomas’ Gedankengang nachzuvollziehen.
»Und dieser Läufer zeichnet jeden Tag eine Karte und vergleicht sie mit den Karten der vorigen Tage, für diesen Abschnitt . Was ist, wenn man stattdessen jeden Tag die acht Abschnitte von einem Tag vergleichen soll? Wenn jeder Tag ein einzelner Hinweis oder Schlüssel ist? Habt ihr mal die Abschnitte miteinander verglichen?«
Minho rieb sich das Kinn und nickte. »Ja, irgendwie schon. Wir haben versucht rauszufinden, ob sie zusammen irgendwas ergeben – klar haben wir das. Wir haben alles versucht.«
Thomas setzte sich in den Schneidersitz und schaute sich die Karten in seinem Schoß an. Er konnte gerade so die Linien des Labyrinths auf der Karte unter der obersten erkennen. In diesem Moment wusste er, was zu tun war. Er schaute zu den anderen hoch.
»Wachspapier.«
»Häh?«, fragte Minho. »Wieso zum –?«
»Glaub’s mir. Wir brauchen Wachspapier und Scheren. Und jeden schwarzen Stift und Bleistift, den ihr auftreiben könnt.«
Bratpfanne war nicht gerade glücklich, dass ihm ein ganzer Karton mit Wachspapierrollen geklaut wurde, besonders jetzt, wo kein Nachschub mehr kam. Das gehörte zu den Dingen, die er immer angefordert hatte, weil er es zum Backen benutzte. Die anderen mussten ihm genau erklären, wofür sie es brauchten, um ihn zu überzeugen.
Nachdem sie zehn Minuten lang Stifte gesucht hatten – die meisten waren im Kartenraum gewesen und verbrannt –, saß Thomas zusammen mit Newt, Minho und Teresa am Arbeitstisch im Waffenkeller. Scheren hatten sie nicht gefunden, also hatte sich Thomas das schärfste Messer genommen, das es in der Waffentruhe gab.
»Ich hoffe, das wird was«, sagte Minho. Seine Stimme klang drohend, aber sein Blick wirkte interessiert.
Newt
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