Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
denselben merkwürdigen Drang wie am vorigen Abend – ihre Hand zu nehmen. Aber er hielt sich zurück.
»Tom, ich hab über das nachgedacht, was ich angeblich gesagt habe. Dass das Labyrinth ein Code ist. Hier eingesperrt zu sein ist eine wunderbare Gelegenheit, das Gehirn arbeiten zu lassen.«
»Weißt du, was es bedeutet?« Er war extrem neugierig und versuchte das Geschrei auszublenden, das jetzt von überall zu hören war, weil sich herumsprach, dass der Kartenraum abgebrannt war.
»Also, die Mauern bewegen sich jeden Tag, stimmt’s?«
»Ja.« Er hatte das Gefühl, dass sie auf einer heißen Spur war.
»Und Minho hat gesagt, dass sie ein Muster dahinter vermuten, richtig?«
»Richtig.« In Thomas’ Kopf fügten sich die ersten Puzzleteile zusammen und ergaben die vagen Umrisse eines Bildes, als wäre da eine Erinnerung, die hervorbrechen wollte.
»Also, ich weiß nicht, warum ich das über den Code gesagt hab. Als ich aus dem Koma aufgewacht bin, wirbelte alles Mögliche in meinem Kopf herum. Das war fast, als würde jemand meine Gedanken ausleeren , sie absaugen. Und ich wusste, dass ich das über den Code sagen muss, bevor es weg ist. Es muss also etwas Wichtiges dahinterstecken.«
Thomas hörte sie kaum – er dachte so intensiv nach wie seit langem nicht mehr. »Sie vergleichen immer die Karte eines Abschnitts mit der vom Vortag und vom Tag davor und so weiter. Tag für Tag schaut sich jeder Läufer seinen Abschnitt an. Was ist, wenn man sie mit den Karten der anderen Abschnitte vergleichen würde …« Die Lösung schien ihm fast zum Greifen nah.
Teresa war noch bei ihrer eigenen Theorie. »Bei dem Wort Code denke ich zuerst an Buchstaben. Das Alphabet. Vielleicht versucht das Labyrinth etwas zu buchstabieren .«
Das Bild in Thomas’ Kopf setzte sich so schnell zusammen, dass er fast hören konnte, wie alle Teile auf einmal einrasteten. »Du hast Recht – du hast Recht! Die Läufer haben die ganze Zeit nach dem Falschen gesucht!«
Teresa klammerte sich ans Gitter, dass ihre Knöchel weiß wurden, und drückte das Gesicht gegen die Eisenstäbe. »Was? Wovon redest du?«
Thomas griff nach den zwei Stangen neben denen, die sie umklammert hielt, und rückte nah genug heran, dass er ihren Geruch wahrnahm – erstaunlich angenehm, nach Schweiß und Blumen. »Minho meinte, dass sich die Muster wiederholen. Aber sie sind nicht dahintergekommen, was es bedeutet. Also haben sie immer Abschnitt für Abschnitt betrachtet, einen Tag mit dem nächsten verglichen. Was ist, wenn jeder Tag ein einzelner Teil des Codes ist und man alle acht Abschnitte irgendwie zusammenbringen soll?«
»Du meinst, vielleicht soll jeder Tag ein Wort ergeben?«, fragte Teresa. »Durch die Bewegung der Wände?«
Thomas nickte. »Oder ein Buchstabe pro Tag. Das weiß ich nicht. Aber sie haben immer gedacht, dass die Bewegungen einen Fluchtweg zeigen würden, auf Wörter sind sie nie gekommen. Sie haben das wie eine Landkarte studiert, nicht wie ein Bild. Wir müssen –« Er unterbrach sich, als ihm einfiel, was ihm Newt gerade erzählt hatte. »Oh nein.«
Teresa sah ihn besorgt an. »Was ist denn?«
»Nein, nein, nein …« Thomas ließ die Gitterstangen los und stolperte rückwärts, als ihm klar wurde, was passiert war. Er drehte sich nach dem Kartenraum um. Der Rauch war weniger geworden, aber die dunkle, fast durchsichtige Wolke schwebte immer noch darüber.
»Was ist denn los?«, fragte Teresa noch mal. Sie konnte den Kartenraum durch das Fenster nicht sehen.
Thomas drehte sich zu ihr. »Ich dachte, es ist egal …«
»Was?« , drängte sie ihn.
»Jemand hat alle Karten verbrannt . Wenn es einen Code gab, ist er futsch.«
»Ich komm gleich wieder«, sagte Thomas und wollte losrennen. Er fühlte Säure in seinem Magen hochsteigen. »Ich muss Newt finden und rauskriegen, ob sie irgendwelche Karten gerettet haben.«
»Warte!«, schrie Teresa. »Hol mich hier raus!«
Aber er hatte keine Zeit, was ihm schrecklich leidtat. »Ich kann nicht – aber ich komme zurück. Versprochen.« Er wandte sich ab, bevor sie protestieren konnte, und rannte auf den Kartenraum und den schwarzen Dunst zu. Er spürte ein Stechen im Bauch wie Nadelstiche. Wenn Teresa Recht hatte, wenn sie so nah dran waren, einen Hinweis zu finden, der ihnen die Flucht ermöglichte, nur damit er dann in Flammen aufging, war das so entsetzlich, dass es wehtat.
Zuerst sah Thomas eine Gruppe Lichter vor der großen Stahltür stehen, die
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