Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
kommt mir bekannt vor.«
»Schlaf … jetzt … ein.«
Und mit einem Schlag wurde es Thomas klar – es war ein Gefühl, als ob mehrere Puzzleteile zusammengesetzt worden wären. Er wusste nicht, wie das fertige Bild aussehen würde, aber seine nächsten Worte waren fast, als kämen sie von jemand anderem. »Chuck, ich … ich glaube, ich war schon mal hier.«
Er hörte, wie sein Freund die Luft anhielt und sich aufrichtete. Aber Thomas drehte sich auf die andere Seite und sagte kein weiteres Wort, weil er seinen neuen Mut nicht wieder verlieren wollte. Nichts sollte den tröstlichen Frieden stören, der ihn erfüllte.
Der Schlaf kam viel schneller, als er erwartet hatte.
Jemand schüttelte Thomas, bis er wach wurde. Er klappte die Augen auf und sah ein Gesicht, das aus nächster Nähe auf ihn herunterstarrte. Alles um ihn herum war noch in die Schatten vor Sonnenaufgang getaucht. Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber eine kalte Hand drückte sich darauf. Panik überflutete ihn, bis er sah, wer es war.
»Psst, Frischling. Wir wollen doch Chucky nicht aufwecken, was?«
Es war Newt – der hier der stellvertretende Chef zu sein schien; er stank nach morgendlichem Mundgeruch.
Thomas war überrascht, aber sofort mit allem einverstanden. Er war einfach zu neugierig auf das, was der Junge mit ihm vorhatte. Thomas nickte und versuchte mit den Augen »Ja« zu sagen, bis Newt endlich die Hand wegnahm.
»Also los, Frischling«, flüsterte der große Junge. Er streckte Thomas die Hand hin und half ihm hoch – er war so stark, dass Thomas das Gefühl hatte, er könnte ihm den Arm abreißen. »Ich muss dir vorm Wecken noch was zeigen.«
Der letzte Rest Schlaftrunkenheit war schon längst aus Thomas’ Kopf verschwunden. »Okay«, sagte er. Er wusste, dass er ihm nicht so einfach folgen und eigentlich misstrauisch sein sollte, da er noch keinen Grund sah, irgendjemandem hier zu trauen. Aber die Neugierde siegte. Er schlüpfte schnell in seine Schuhe. »Wo gehen wir hin?«
»Komm einfach mit. Und bleib direkt hinter mir.«
Sie suchten sich einen Weg zwischen den dicht beieinanderliegenden schlafenden Gestalten hindurch, über die Thomas mehrmals fast gestolpert wäre. Er trat jemandem auf die Hand, was mit einem Schmerzensschrei und einem Fausthieb gegen seine Wade quittiert wurde.
»’tschuldigung«, flüsterte er, ohne Newts finsteren Blick zu beachten.
Sobald sie die Rasenfläche überquert hatten und auf den harten grauen Steinboden des Hofs traten, rannte Newt Richtung Westwand los. Erst zögerte Thomas und fragte sich, warum er wohl rennen sollte, aber dann folgte er ihm im gleichen Tempo.
Es war immer noch sehr düster, aber Hindernisse im Weg waren als noch dunklere Schatten zu erkennen und er kam schnell voran. Er blieb direkt neben Newt stehen, bei der riesigen Mauer, die wie ein Wolkenkratzer vor ihnen aufragte – wieder ein Bild, das im trüben Teich seines verlorenen Gedächtnisses schwamm. Thomas bemerkte hier und da kleine rote Lichter, die an der Mauer aufblitzten, sich bewegten und an- und ausgingen.
»Was sind das für Dinger?«, flüsterte er, so laut er es wagte. Er fragte sich, ob seine Stimme so zittrig klang, wie er sich fühlte. Das grellrote Aufblitzen der Lichter wirkte wie eine Warnung.
Newt stand ungefähr einen halben Meter vor dem dicken Efeuvorhang an der Wand. »Wirst es schon noch rausfinden, Frischling, keine Sorge.«
»Das ist ja wohl reichlich bescheuert, mich irgendwohin zu verfrachten, wo nichts einen Sinn ergibt, und dann meine Fragen nicht zu beantworten.« Thomas machte eine Pause und wunderte sich über sich selbst. »Strunk« , fügte er hinzu und sprach die Silbe so sarkastisch wie irgend möglich aus.
Newt fing an zu lachen, unterbrach sich aber schnell wieder. »Du gefällst mir, Frischling. Jetzt mal kurz Klappe, ich zeig dir was.«
Newt machte einen Schritt nach vorn, grub die Hände in den dicken Efeu und schob einige Ranken zur Seite. Ein staubbedecktes Fenster kam zum Vorschein, ein ungefähr fünfzig Zentimeter breites Viereck aus Glas. Momentan sah es so dunkel aus, als wäre es mit schwarzer Farbe gestrichen.
»Wonach halten wir denn Ausschau?«, flüsterte Thomas.
»Mach dir nicht ins Hemd, Kleiner. Einer wird bald vorbeikommen.«
Eine Minute verging und dann noch eine. Noch etliche. Thomas trat von einem Fuß auf den anderen und fragte sich, wie Newt so völlig gelassen und ruhig dastehen und ins schwarze Nichts starren
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