Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
musste einfach über die Cleverness seines Hüters grinsen. Es klopfte an der offenen Tür – er drehte sich um und sah nach, wer da war: Es war Chuck, der aussah, als wäre er gerade von Griewern gejagt worden. Thomas merkte, wie das Lächeln von seinem Gesicht verschwand.
»Was ist los?«, fragte Newt und erhob sich. Sein Tonfall ließ die Sache noch ernster erscheinen.
Chuck rang die Hände. »Die Sanis schicken mich.«
»Warum?«
»Wie es scheint, schlägt Alby wild um sich, benimmt sich völlig durchgedreht und meint ständig, er muss was loswerden.«
Newt ging schon zur Tür, aber Chuck stoppte ihn. »Äh … er will nicht mit dir sprechen.«
»Was soll das heißen?«
Chuck zeigte auf Thomas. »Er verlangt ständig nach ihm.«
Zum zweiten Mal an diesem Morgen war Thomas so geschockt, dass ihm die Worte fehlten.
»Na, dann los«, sagte Newt zu Thomas und zog ihn am Arm hinter sich her. »Ich komme mit.«
Thomas folgte ihm, Chuck im Schlepptau, aus dem Versammlungsraum durch den Flur zu einer engen Wendeltreppe, die er bisher noch gar nicht bemerkt hatte. Newt bedachte Chuck mit einem eisigen Blick. »Du bleibst unten.«
Ausnahmsweise nickte Chuck nur und sagte nichts. Thomas vermutete, dass irgendetwas an Albys Verhalten den Kleinen total aus der Fassung gebracht hatte.
»Mach dir nichts draus«, sagte Thomas im Hochgehen zu Chuck. »Sie haben mich gerade zum Läufer ernannt, du hast jetzt also einen ganz tollen Hecht als besten Freund.« Er wollte einen Witz machen, um zu verbergen, dass er eine Heidenangst vor dem Wiedersehen mit Alby hatte. Was war, wenn er ihm genauso schreckliche Beschuldigungen an den Kopf werfen würde wie Ben? Oder womöglich noch schlimmere?
»Jaja«, brummte Chuck nur und starrte gedankenverloren die Treppe an.
Thomas zuckte mit den Schultern und lief die Wendeltreppe hoch. Seine Handflächen waren klatschnass und ein bisschen Angstschweiß lief ihm die Stirn herunter. Er wollte wirklich nicht da hoch.
Grimmig wartete Newt oben auf dem Treppenabsatz. Sie befanden sich am gegenüberliegenden Ende des langen, dunklen Flurs, wo die andere Holztreppe war, die Thomas am ersten Tag hochgegangen war, um Ben zu sehen. Bei der Erinnerung an dieses erste Zusammentreffen wurde ihm ganz schlecht. Er hoffte von ganzem Herzen, dass Alby schon vollständig geheilt war, damit er nicht noch einmal so etwas mit ansehen musste – die grünliche Haut, die krank aussehenden, geschwollenen Adern, die Zuckungen. Aber er machte sich auf das Schlimmste gefasst.
Er folgte Newt zur zweiten Tür rechts, an die dieser leise klopfte; als Antwort ertönte ein Ächzen. Newt machte die Tür auf und das Knarren erinnerte Thomas wieder ganz vage an etwas aus der Kindheit: einen Gruselfilm von einem Spukhaus. Da war es wieder – ein winziges Fenster zur Vergangenheit. Er konnte sich an Filme erinnern, aber nicht an die Gesichter der Schauspieler oder mit wem er sie angesehen hatte. Er konnte sich ans Kino erinnern, aber nicht, wie ein bestimmtes ausgesehen hatte. Wie frustrierend das war, konnte er nicht erklären, noch nicht einmal sich selbst.
Newt war im Zimmer und winkte Thomas ebenfalls herein. Beim Eintreten machte er sich auf das Schlimmste gefasst. Aber als er den Blick hob, sah er nichts weiter als einen sehr schwach aussehenden Teenager, der mit geschlossenen Augen im Bett lag.
»Schläft er?«, flüsterte Thomas, weil er sich nicht traute das auszusprechen, was er wirklich fragen wollte: Er ist doch nicht etwa tot, oder?
»Ich weiß nicht«, antwortete Newt leise. Er setzte sich neben das Bett auf einen Holzstuhl. Thomas nahm auf der anderen Seite Platz.
»Alby«, flüsterte Newt. Dann etwas lauter: »Alby! Chuck hat gesagt, du willst mit Tommy sprechen.«
Mühsam öffnete Alby die Augen – blutunterlaufen und im Licht glitzernd traten sie aus ihren Höhlen. Er sah Newt an, dann hinüber zu Thomas. Mit einem Ächzen schob er sich im Bett nach oben und lehnte sich mit dem Kopf an die Rückenlehne. »Ja«, krächzte er heiser.
»Chuck meinte, du würdest dich herumschmeißen und wie ein Irrer im Bett herumpropellern.« Newt beugte sich zu ihm vor. »Was ist los? Bist du noch krank?«
Alby stieß jedes Wort einzeln aus, begleitet von einem pfeifenden Atemgeräusch, als koste ihn jedes davon eine Woche seines Lebens. »Alles … wird anders … das Mädchen … Thomas … ich hab sie gesehn …« Flackernd schlossen sich seine Augenlider, dann gingen sie wieder halb
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