Die Auserwählten
nach draußen.
Niels ging in die Küche. Die Familie hatte am Abend Frikadellen gegessen, mit Sauce béarnaise aus der Tüte.
Draußen regnete es noch immer. Oder war das der erste Schnee? Das Fenster war beschlagen.
»Bentzon.«
Leon kam ihm nach und baute sich vor ihm auf.
»Es gibt da etwas, das ich dich gern fragen würde.«
Niels wartete ab. Leon hatte Mundgeruch.
»Was geht in solchen Momenten wie jetzt eigentlich in deinem Kopf vor?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ja.«
Niels atmete schnaubend aus. Leon nutzte die Wartezeit, um die letzte Frikadelle der Familie zu essen. Er tunkte sie in die Soße und stopfte sie sich in den Mund.
»Ich denke an etwas, das ich im Radio gehört habe. Über Abraham und Isaak.«
»Ich habe schon befürchtet, dass du so etwas sagen würdest.«
»Du wolltest es wissen.«
Leon kaute noch. »Und was ist mit denen? Ich kenne mich da nicht so gut aus.«
»Im Radio wurde ein Pastor interviewt, der meinte, dass man diese Geschichte eigentlich nicht predigen sollte. Erinnerst du dich nicht? Gott hat von Abraham gefordert, seinen Sohn zu opfern, um seinen Glauben zu beweisen.«
»Da kann ich diesem Pastor nur Recht geben. Das ist wirklich krank. So ein Scheiß sollte verboten werden.«
»Aber tun wir nicht das Gleiche? Wir schicken junge Männer ewig weit weg in einen Wüstenkrieg und fordern von ihnen, sich für einen Glauben zu opfern.«
Leon sah Niels forschend an. Dann folgte der Anflug eines Lächelns, ein theatralisches Kopfschütteln, und er war wieder weg.
7.
7.
Flughafen Charleroi, Brüssel – Belgien
Meine Rache wird Erlösung sein.
Dieser Gedanke manifestierte sich klar und deutlich in Abdul Hadis Kopf, während er das Sicherheitspersonal voller Verachtung anstarrte. Wollte ich wirklich ein Flugzeug kapern, würde mich auch eure lächerliche Kontrolle nicht davon abbringen.
Aber so einfach war es nicht. Er wollte kein Flugzeug entführen und es in das Parlamentsgebäude der EU steuern. Es würde keine Bilder von Angehörigen geben, die weinend vor den Listen mit den Namen der Opfer standen, die die Fluggesellschaft ausgehängt hatte. Seine Rache würde anders sein, seine Rache würde gerecht sein.
Der Wachmann sah ihn verärgert an. Natürlich hatte Abdul Hadi seine Frage gleich verstanden, es gab ihm aber Kraft, den Mann seine unverschämte Aufforderung noch einmal stellen zu lassen.
»Can you take your shoes off, Sir?« Der Wachmann hob die Stimme.
Abdul Hadi blickte den anderen hinterher, die, ohne ihre Schuhe auszuziehen, durch die Sicherheitskontrolle gelangt waren. Dem Äußeren nach waren das alles Westeuropäer. Er schüttelte den Kopf und ging zurück durch den frei stehenden Türrahmen, der schon ein Piepen von sich gab, wenn man nur ein paar Münzen in der Tasche hatte. Er zog ruhig und selbstsicher seine Schuhe aus und legte sie in die Plastikkiste. Vielleicht glauben die ja, dass ich wie Mohammed Atta ein Messer in meinen Schuhen verstecke, dachte er, als er erneut durch die Kontrolle ging. Ein anderer Wachmann rief ihn zu sich. Dieses Mal war es sein Handgepäck, das anders behandelt wurde als das der Übrigen. Mit größerem Misstrauen. Abdul Hadi sah sich im Flughafen um, während sie seine Kulturtasche durchwühlten. Tintin und Schokolade mit Füllung. Er wusste nicht viel über Belgien, doch jetzt schwante ihm, dass diese beiden Dinge die Aushängeschilder des Landes waren. Und ihm kam in den Sinn, dass im letzten Jahr zwei ältere belgische Frauen in Wadi Dawan ermordet worden waren, als ein paar von Allahs Kriegern einen Konvoi mit westlichen Touristen angegriffen hatten. Nicht einmal er selbst würde ohne Schutz durch die Wadi-Dawan-Wüste fahren.
Über dem Tax-Free-Shop hing eine Weltkarte. Er warf einen Blick darauf, während sie die Seitenfächer seiner Kulturtasche öffneten und die Batterien aus dem Rasierapparat nahmen. Der Terror hat eine neue Weltkarte erschaffen, dachte er. Mit New York als Hauptstadt. Auch Mumbai hatte eine ganz neue Bedeutung, wie auch die Metros von Madrid und London. Sharm el-Sheik, Tel Aviv und Jerusalem. Sein Volk hatte den ganz dicken Pinsel genommen und begonnen, die Welt rot zu malen. Entstanden war dabei eine Karte, bei der die Menschen nicht mehr an Kastagnetten dachten, wenn von Madrid die Rede war, oder an die Freiheitsstatue, wenn New York angesprochen wurde. Stattdessen befiel sie die Angst.
Nun beugte sich auch noch ein dritter Sicherheitsbeamte über seine Tasche. Vielleicht der
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