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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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Vorgesetzte? Ohne den Blick vom Inhalt der Tasche zu nehmen, fragte er auf Englisch: »Haben Sie die Tasche selbst gepackt, Sir?«
    »Ja, natürlich. Es ist ja meine.«
    »Wohin reisen Sie?«
    »Stockholm.«
    »Arbeiten Sie dort?«
    »Nein, ich will meine Familie besuchen. Ich habe ein Visum. Gibt es ein Problem?«
    »Woher kommen Sie, Sir?«
    »Aus dem Jemen. Gibt es ein Problem?«
    Der Wachmann gab ihm die Tasche ohne jede Andeutung einer Entschuldigung zurück.
    Abdul Hadi stellte sich in die Mitte der Abflughalle: Geschäfte, Filmreklamen und Werbeplakate für einen eleganteren Lebensstil. Ihn erfüllte das alles nur mit Verachtung. Der Westen und sein bizarres Verhältnis zur Sicherheit. Das ist doch reine Fiktion, dachte er. Wie der Traum, dass all diese Produkte wirklich etwas für sie tun könnten. Jetzt glauben die Reisenden, dass alles gut ist und sie sich sicher fühlen können. Aber es gibt keine Sicherheit! Abdul Hadi dachte nicht im Traum daran, eine Waffe in einen Flughafen zu schmuggeln. Warum sollte er sich das Leben schwermachen? Stattdessen war alles für ihn vorbereitet worden, wenn er erst sein Ziel erreicht hatte. Er wusste, wo er hinmusste. Er wusste auch, wer sterben sollte und wie er vorgehen musste.
    Stockholm – Verspätet
    Er warf einen Blick auf den Bildschirm mit den Abflugzeiten. Er hatte viel Zeit. Er würde noch früh genug in Stockholm landen. Jemand sollte ihn am Flughafen abholen, zum Bahnhof fahren und in den richtigen Zug nach Kopenhagen setzen.
    Er musterte die Passagiere. Nein, ihr könnt euch nicht sicher fühlen, dachte er erneut und empfand dabei große Genugtuung. Ihr könnt meine Tasche durchwühlen, ihr könnt von mir verlangen, dass ich meine Schuhe ausziehe, ja, dass ich mich nackt vor euch hinstelle, wie bei der ersten Zwischenlandung, und doch rettet euch all das nicht.
    Er dachte an die Demütigung auf dem Flughafen in Mumbai. Als Einziger in der Reihe war er herausgefischt worden und ihnen gleichmütig gefolgt. Zwei Sicherheitsleute des Flughafens waren vorneweg gelaufen, zwei indische Polizisten hinter ihm. Sie hatten ihn in einen fensterlosen Raum geführt, ohne Stühle oder Tische. Er musste seine Sachen auf den Boden legen und hatte um einen Stuhl gebeten, weil es so schmutzig war, doch sie hatten nur gefragt, ob er sein Flugzeug noch erwischen oder Ärger machen wolle. Reisende aus dem Westen werden anders behandelt, selbst wenn sie unter Verdacht stehen.
    Er versuchte sich zu konzentrieren, an sein Ziel zu denken, die Rache, aber die Gedanken ließen ihn nicht mehr los: Wir werden in eurer Welt niemals akzeptiert werden. Allenfalls toleriert. Akzeptiert aber nie. Nicht auf Augenhöhe. Er hatte vor seinem Aufbruch mit seinem jüngeren Bruder darüber gesprochen. Kam er nicht zurück, würde sein Bruder das Oberhaupt der Familie sein. Deshalb war er auch aus Saudi-Arabien zurückgekommen, wo er als Gastarbeiter sein Geld verdiente. Die Saudis waren fast noch schlimmer als die Leute im Westen. Dekadent, pathetisch und verlogen. Jeder wusste, dass ihre verschleierten Frauen nur Theater spielten. Freitagabend setzten sie sich in ihren Privatjet und flogen nach Beirut. Noch an Bord der Maschine zogen sie sich um. Legten die Burka ab, während die Männer den Hugo-Boss-Anzug herausholten. Abdul Hadi hatte vor dem Bürgerkrieg an der amerikanischen Universität in Beirut studiert. Er hatte gesehen, wie die Saudis jedes Wochenende ankamen – vollständig transformiert. Wie die Frauen im Bikini am Strand lagen und die Männer sich betranken und im großen Casino Blackjack spielten. Er wusste nicht, wen er mehr hassen sollte: die Saudis, die in der einzigen Stadt der Welt, die dieses Spiel tolerierte, Weekend-Westler spielten, oder die Leute aus dem Westen, die sie mit ihren Versprechungen der Freiheit in die Falle gelockt hatten. Eine Freiheit, die sie in Wahrheit gar nicht hatten. Abdul Hadi wusste das aus bitterer Erfahrung. Obschon er ein hübscher Mann war, insbesondere bevor er grau geworden war, hatte er nie auch nur eine Chance bei den amerikanischen Kommilitoninnen gehabt.
    Nur ein einziges Mal hatte ein Mädchen seine Einladung angenommen. Caroline . Sie stammte aus Chicago und wollte Filme drehen, wenn sie wieder zu Hause war. Sie waren zusammen im Kino gewesen und hatten sich Jaws angesehen, doch als sie herausgefunden hatte, dass er nicht aus dem Libanon stammte, hatte sie ihr Interesse verloren. Caroline hatte bloß ein bisschen Lokalkolorit gesucht.

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