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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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nach. Nur Hannah konnte ihn verraten haben. Oder hatte er … er zerrte sein Handy aus der Tasche. Es war eingeschaltet. – Verdammt!
    »Was ist los?«
    »Nichts.«
    »Spüren die dich über dein Telefon auf?«
    »Ja.«
    Niels warf einen Blick aus dem Fenster der Toilette. Der Zug stand noch da, noch immer stiegen Reisende aus und schleppten sich mit einer unglaublichen Menge an Gepäck ab. Die Welt musste an Weihnachten deutlich mehr wiegen, dachte er. Im gleichen Moment entdeckte er den Mann wieder – er stand jetzt am Ende des Bahnsteigs.
    »Ist er noch da?«
    Es war weniger die Art, wie der Mann sich umsah. Eher die Tatsache, dass er ein Blatt in der Hand hielt, auf das er jedes Mal einen Blick warf, wenn ein Mann mittleren Alters an ihm vorbeiging.
    Niels zog Hannah in eine der Toilettenkammern. Sie beklagte sich nicht über den Gestank. Jemand betrat die Kammer nebenan, um Wasser zu lassen. Hannah hielt grinsend die Luft an. Die Wände waren mit verzweifelten Einladungen übersät: »Mann sucht Mann.« »Junger Mann sucht reifen Partner.«
    »Sicher kein guter Ort, wenn man von der sexuellen Norm abweicht«, sagte Niels, als sie wieder allein waren.
    »Nein, das ist nie leicht.« Sie klang, als spräche sie aus Erfahrung.
    »Du gehst zuerst raus. Achte auf den Ausgang. Ein Mann mittleren Alters. Zirka einsachtzig groß. Helle Wildlederjacke. Er sucht nach uns. Wenn er noch da ist, hustest du.«
    »Und was dann?«
    »Dann drehst du dich um und gehst in die Toilette nebenan. Als hättest du dich nur in der Tür geirrt.«
    Sie ging nach draußen. Kurz darauf hörte er ein überraschend natürlich klingendes Husten. Dann fiel die Tür der Damentoilette ins Schloss. Niels wartete fünf lange Minuten, und als er schließlich wieder nach draußen blickte, sah er den Mann über die Treppe nach unten verschwinden. Er hatte aufgegeben.
    Vor dem Bahnhof verfluchte Niels sich selbst, als sie auf den Bus warteten. Es war viele Jahre her, dass er in der Personenfahndung gearbeitet hatte. Er war Vermittler und war es nicht gewohnt, sich über Themen wie Lokalisierung, Satelliten, GPS und Mobilfunkmasten Gedanken zu machen. Zuerst nahm er die SIM-Karte heraus, und dann zertrat er sein Handy. Es war ein seltsames Gefühl.
    »Gibst du mir auch dein Telefon?«, fragte er.
    Hannah gab es ihm, ohne zu protestieren. Ein älteres Ehepaar beobachtete sie kopfschüttelnd vom gegenüberliegenden Bürgersteig aus, als Niels Hannahs Handy auf den Boden schleuderte und dann seinen Fuß daraufstellte.
    ***
    Zuerst ging es ein Stück über die Autobahn, dann fuhr der Bus ab auf eine kleinere Landstraße.
    »Ich glaube, ich erinnere mich jetzt.« Hannah blickte aus dem Fenster. »Ich war seit dreißig Jahren nicht mehr hier. Und damals war es Sommer.«
    »Und da gibt es wirklich ein Hotel?«
    »Glaubst du mir nicht?«
    Sie fuhren in eine Stadt, die wie die meisten dänischen Städte recht einfallslos mit einem Supermarkt, roten Ziegelhäusern und Bungalows anfing. Als sie aber zu dem kleinen Fischerhafen kamen, änderte die Szenerie sich deutlich zum Besseren. Der Bus hielt an.
    Hannah stand auf. »Da wären wir.«
    Vor dem Bus standen zwei Rentner mit ihren Fahrrädern.
    »Hallo!« Niels ging auf sie zu. »Wissen Sie, ob das Hotel geöffnet ist?«
    Misstrauische Blicke und hartnäckiges Schweigen. Niels wollte seine Frage gerade wiederholen, als derjenige, der noch etwas mehr Zähne im Mund hatte, einen Tabaksfaden ausspuckte und sagte: »Die Touristensaison ist vorbei. Kommen Sie im Sommer wieder.«
    »Ist das Hotel geschlossen, oder ist nur die Saison vorbei?«
    Sie antworteten nicht. Hannah mischte sich ein: »Sind Sie wirklich sicher, dass es hier nirgendwo einen Ort gibt, an dem man übernachten kann?«
    Der Zahnlose sagte: »Unten am Strand in Richtung Norden. Aber passen Sie auf die Güterzüge auf, die Schranke ist kaputt.«
    »Danke.«
    Sie folgte der Sandspur, die immer breiter wurde, je näher sie dem Meer kamen. Außerdem konnten sie sich jetzt auch nach ihrem Gehör orientieren. Das Bombardement der Küste; Niels hatte nie verstanden, warum die Menschen so gern an der Küste wohnten. Dort war es doch nie still.
    »Pass auf!«
    Niels packte Hannah und hielt sie zurück. Ein Zug donnerte an ihnen vorbei, doch erst in Höhe des Bahnübergangs drückte der Zugführer auf das Signalhorn. Das war keine Warnung, sondern ein Anpfiff.
    »Idiot«, sagte Niels.
    »Wir sind ja gewarnt worden, dass die Schranke kaputt ist.«
    »Ja, schon,

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