Die Auserwählten
zusammenstoßen.«
»Und Meteoriten?«
»Die sind nicht ganz so leicht zu sehen. Aber wirklich, bei meiner Arbeit wird man immer wieder an den Weltuntergang erinnert. Glücklicherweise sehen wir aber auch hin und wieder die Geburt von neuen Sternen.«
Die Bedienung kam zurück und schenkte ihnen ein. Als sie gegangen war, breitete sich wohltuende Stille aus.
Niels brach sie: »Dein Sohn?«
»Ja, mein Sohn, mein geliebter Sohn.«
Vielleicht bereute er es bereits. Aber jetzt war es zu spät. Sie war in Gedanken weit weg, sagte aber trotzdem: »Er hat sich das Leben genommen.«
Niels blickte auf die Tischplatte.
»Johannes war ein Wunderkind. Mit einer unglaublichen Begabung.«
Sie nippte an ihrem Wein.
»Wie alt wurde er?«
Sie überhörte ihn. »Er begann dann aber auch, Anzeichen einer Persönlichkeitsstörung zu zeigen. Er war schizophren, verstehst du?«
»Ja.«
»An dem Tag, an dem wir draußen in Bispebjerg die Diagnose erfuhren, brach für uns eine Welt zusammen.«
»Und dein Mann?«
»Gustav? Er war irgendwo anders – er hatte immer irgendeine Gastvorlesung, wenn die Dinge emotional kompliziert wurden. Weißt du, was er am Telefon gesagt hat, als ich ihm von der Diagnose erzählt habe?«
»Nein.«
»Dann wissen wir wenigstens, warum, Hannah. Aber ich muss jetzt los. Ich habe ein Meeting.«
»Das tut mir leid.«
»Trotzdem, vielleicht war es gut, dass er das gesagt hat. Seine Art, damit umzugehen, bestand darin, einfach weiterzuleben, als wäre nichts geschehen. Auf diese Weise war immer irgendetwas so wie immer. Eine Sache war wirklich immer gleich: Und das war Gustav. Darauf konnte man sich verlassen.«
»Kam der Junge dann in eine Klinik? Also, ich meine Johannes?«
Sie nickte. Die Pause wurde so lang, dass Niels bereits glaubte, das Thema sei damit abgeschlossen.
»Ich habe ihn im Krankenhaus abgegeben und ihn an den Wochenenden besucht. Aber er saß da nur rum.«
Wieder entstand eine Pause, noch länger als die vorhergehende.
»Weißt du, an welchem Tag er sich umgebracht hat?«
Niels hatte den Blick immer noch gesenkt.
»An dem Tag, an dem Gustav mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Eine eindeutigere Nachricht kann ein Sohn seinen Eltern nicht geben: Glückwunsch, ihr habt mich im Stich gelassen. Von der Geschichte steht allerdings nichts bei Wikipedia.«
»So darfst du das nicht sehen.« Niels hörte selbst, wie wenig überzeugend er klang.
»In der ersten Zeit dachte ich nur daran, mit allem abzuschließen, einfach abzuhauen, für immer.«
»Du wolltest auch … Selbstmord begehen?«
»Ich hatte es nicht verdient zu leben. Ich hatte sogar schon die Pillen, hatte alles geplant.«
»Was hat deine Meinung geändert?«
»Ich weiß nicht. Ich habe es ganz einfach nicht getan. Vielleicht weil ich …« Sie hielt inne.
»Was, Hannah?«
»Vielleicht, weil ich dich sonst nicht getroffen hätte, Niels.« Sie sah ihn an. »Und um etwas richtig zu machen.«
Niels wollte etwas sagen – er musste doch etwas sagen –, aber Hannah legte ihre Hand auf die seine und machte alle weiteren Worte überflüssig.
8.
8.
Der Nordseewind rüttelte an dem alten Hotel. Als Niels und Hannah auf den Hotelflur traten und zu ihren Zimmern gingen, stellte Niels sich vor, dass der Wind im Lauf der Nacht so heftig gegen das Hotel drückte, dass er das gesamte Gebäude bis nach Kopenhagen schob. Vielleicht hatte er es sogar laut gesagt, denn Hannah kicherte und sagte:
»Wir sollten lieber still sein, ich glaube, es ist spät geworden.«
»Warum?« Erst jetzt spürte Niels, wie viel er getrunken hatte. »Wir sind doch die einzigen Gäste.«
Hannah blieb vor Niels’ Zimmertür stehen und holte ihren Schlüssel heraus.
»Danke für den schönen Abend.«
»Ich habe zu danken.«
Die Art, wie sie ihm den Rücken zudrehte, hatte beinahe etwas Demonstratives. Ohne ihn anzusehen, fragte sie: »Oder kommst du mit zu mir?«
»Der letzte Wunsch des Todeskandidaten?«
Sie drehte sich um. »Es könnte einfach nur schön sein. Voller Wärme. Du weißt schon, was ich meine.«
Niels streichelte ihr ungeschickt über die Wange. Wenn er nur ein paar Sekunden Bedenkzeit gehabt hätte, wären ihm sicher mindestens zehn Sachen eingefallen, die er lieber getan hätte.
»Das geht nicht. Schlaf gut.«
Er blieb stehen. Sein ganzer Körper war darauf eingestellt, in sein Zimmer zu gehen, nur seine Füße nicht.
»Du solltest auch mal etwas Falsches tun.« Ihre Stimme hielt ihn auf.
»Wie meinst du das?«
»Du
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