Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
Vom Netzwerk:
derart abgestumpfte Brutalität wie in diesem Fall sah man nur selten. Eiskalt hatten die Täter dem jungen Mann mit Eisenstangen und Baseballschlägern den Schädel eingeschlagen. Es war wie eine Hinrichtung gewesen. Eine zynische Liquidierung zur allgemeinen Abschreckung und Warnung. Dieser Fall hatte Niels dazu gebracht, anders über die Freistatt zu denken. Das Experiment war aus dem Ruder gelaufen.
    ***
    »Fünf Minuten, dann bin ich da.«
    Der Tätowierer nickte Niels freundlich zu, der erst einmal Platz nahm und wartete. Der Mann sah wie ein Monster aus. Kolossale, farbintensive Tattoos am ganzen Oberkörper und in weiten Teilen seines Gesichts. Die Muskeln an seinem Oberkörper schienen das straff sitzende Unterhemd zu sprengen, und in Nase und Unterlippe glänzten Ringe.
    »Wollen Sie eine Tasse Kaffee?« Das Lippenpiercing ließ ihn ein bisschen lispeln.
    »Ja, gern, schwarz.«
    Der Tätowierer verschwand in einem Hinterzimmer und ließ Niels allein.
    Der Raum war klinisch sauber und erinnerte an eine Arztpraxis. An den Wänden hingen dicht an dicht Bilder von Tätowierten. Drachen, Schlangen, Frauen, abstrakte Motive. Es gab Plakate mit japanischen Schriftzeichen. Oder waren es chinesische?
    »Manche Leute glauben, dass sich in Japan die Menschen schon vor über zehntausend Jahren tätowiert haben. Ist das nicht toll?«
    Der Tätowierer war wieder zurück. Er reichte Niels eine Kaffeetasse.
    »Die vom Ainu-Volk waren das. Sie haben sich die Gesichter tätowiert.«
    Niels sah ihn auffordernd an.
    »Man hat sogar chinesische Mumien mit Tätowierungen gefunden. Das ist also kein reines Modephänomen.« Er grinste.
    »Wurde immer die gleiche Technik verwendet?«
    »Nein, nein, die Technik hat sich weiterentwickelt. Es gibt Beispiele aus uralten Kulturen, die Asche in offene Wunden gerieben haben. Die Wikinger verwendeten Rosendornen. Wer schön sein will, muss eben leiden.« Wieder dieses hohe, lispelnde Lachen.
    Niels lächelte höflich. »Und wie macht man das heute? Also rein technisch.«
    »Sehen Sie hier.« Der Tätowierer nickte in Richtung der Tätowiermaschine. »Die Nadel sitzt in diesem Röhrchen hier. Schaltet man die Maschine ein, tickt die Nadel etwa tausend Mal pro Minute vor, das geht verdammt schnell, wirklich!«
    »Und was wird da reingespritzt?«
    »Man spritzt nichts ein. Man sticht Tinte in den unterschiedlichsten Farben ein. Die Tattoopigmente bestehen aus Wasser, Glyzerin und winzig kleinen Kristallen. Fremdkörper in allen nur erdenklichen Farben.«
    »Hört sich ganz schön ungesund an.«
    »Kriegen Sie schon kalte Füße?« Er verzog seinen Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ihr Kaffee ist auch ungesund.«
    »Aber wirklich Fremdkörper?«
    »Es gibt manchmal Kunden, die Probleme bekommen. Der Körper versucht, diese Kristalle abzustoßen. Das ist dann sicher nicht lustig. In seltenen Fällen können die Pigmente auch über die Lymphbahnen in die Lymphknoten und von dort ins Blut wandern. Aber come on: Ich habe nie Probleme gehabt. Und ich sollte wissen, wovon ich rede.« Er zog sein Unterhemd hoch und zeigte einen beeindruckenden und nicht minder beängstigenden Drachenkopf.
    »Wollen Sie so einen? Den Mädels gefällt’s.«
    »Nein, danke, aber ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Der Mann sah ihn überrascht an, während Niels ein Bild aus dem Faxstapel heraussuchte.
    »Was ist das?« Der Tätowierer blickte interessiert auf den Rücken des Opfers. »Soll ich Ihnen so was machen?«
    »Können Sie etwas über diese Tätowierung sagen?«
    »Sagen?«
    »Über das Motiv? Was ist das? Wo ist das gemacht worden? Und wie lange würde so etwas dauern?«
    Der Mann schwieg und starrte unablässig auf das Bild.
    »Kommen Sie mal mit.«
    Das Hinterzimmer war eine Welt für sich. Es sah aus wie das Wohnzimmer eines Junkies. Überall lagen Nadeln und Aschenbecher herum. Auf einem dreckigen Tisch stand eine halbvolle Flasche Whisky. Ein Welpe lag in einem Korb und schlief. Als er aufwachte, sah er Niels neugierig an.
    »Wollen Sie ihn kaufen? Amerikanischer Staffordshire-Terrier. Der sieht süß aus, aber lassen Sie sich nicht täuschen, in einem halben Jahr kann der ein ausgewachsenes Pferd töten.«
    »Das Bild«, brachte Niels ihn wieder zum Thema zurück.
    »Ah ja.« Er setzte sich auf den Rand eines wackeligen Tisches und schaltete eine Lampe ein. »Ich sage Ihnen, die Leute kommen mit den merkwürdigsten Bildern, die ich dann tätowieren soll. Erst neulich kam ein Typ mit einem Foto von den

Weitere Kostenlose Bücher