Die Auserwählten
ich einen Fehler mache.«
»Aber …« Niels hatte bereits aufgegeben, versuchte sich aber noch an einem letzten Einwand. Er wurde brutal abgefertigt:
»Und jetzt will die Presse eine Antwort darauf, warum wir ein paar zurückgebliebene Autonome mehrere Stunden auf dem Asphalt haben sitzen lassen. Zwei von ihnen haben jetzt eine Blasenentzündung. Erfassen Sie das Problem?«
Sommersted erwartete gar keine Antwort, sondern rauschte an Niels vorbei durch die Tür und verschwand.
***
Verdammt nein! Niels drehte um. Das war so doch nicht richtig. Es gab eine Verbindung. Indien. Mumbai. Niels diskutierte mit sich selbst, als er noch einmal zu Sommersteds Büro zurückging. Er war Polizist. Angestellt, um kriminelle Handlungen zu verhindern oder aufzuklären, und nicht, um Sommersted glücklich zu machen. Das Licht im Büro seines Chefs brannte noch immer. Die gemeinsame Verantwortung für die globale Erwärmung war allem Anschein nach noch nicht bis zur Kopenhagener Polizei durchgedrungen. Niels trat ein. Die Unterlagen lagen noch immer auf dem Tisch. Niels fragte sich, ob Sommersteds Achtlosigkeit auf den Stress zurückzuführen war, unter dem er stand. Ein Profilfoto des Jemeniten. Abdul Hadi. Und ein unscharfes Foto, aufgenommen irgendwo in Waziristan, dem bergigen Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan. Niels kannte sich mit internationalem Terrorismus nicht aus, wusste aber trotzdem, dass diese Region als Wiege des Terrorismus galt. Muslimbruderschaft. Diese Gruppierung wurde gleich mehrmals in den Akten genannt. Hadi hatte Kontakt zu führenden Mitgliedern. Aus den Akten ging nicht genau hervor, wie eng dieser Kontakt war, trotzdem musste angenommen werden, dass Hadi ein potenzieller Terrorist war.
Niels sah auf. Niemand passte auf, alle Blicke waren auf die Temperatur im Bella Center gerichtet.
Er blätterte weiter. Die Muslimbruderschaft. Seine Augen scannten die Seite: Eine politisch-religiöse Organisation, 1928 in Ägypten von Hassan Al-Banna gegründet. Ihr ursprüngliches Ziel war es, Ägypten zu einer islamistischen Gesellschaft zu machen; einer Gesellschaft, die auf strengen islamischen Gesetzen basierte. Ihr Vorbild war die von der wahabitischen Bruderschaft Ichwan geschaffene Gesellschaft auf der Arabischen Halbinsel. Trotz einer Distanzierung von der äußeren Gewalt war die Gesellschaft in Ägypten mehrmals verboten worden, und eines ihrer wichtigsten Mitglieder, der Ende der 1960er Jahre zum Tode verurteilte Sayyid Qutb, verfasste während eines Gefängnisaufenthalts die Schrift Meilensteine , die heute als eine Art Kampfschrift für den islamistischen Terror betrachtet wird. Osama Bin Ladens rechte Hand – die Nummer zwei in der Hierarchie der Al Qaida –, der Arzt Aiman az Zawahiri, begann seine terroristische Laufbahn denn auch in dieser Muslimbruderschaft. Die Bruderschaft hat seit ihrer Gründung einen enormen Einfluss nicht nur auf Ägypten, sondern auf große Teile der muslimischen Welt. Sie wurde mit unzähligen Terroranschlägen in Verbindung gebracht und stützte offen den Terroranschlag gegen Israel, ihren Hauptfeind. Die islamistische Hamas-Organisation in Gaza ist ein Abkömmling der Bruderschaft. Am bekanntesten ist die Muslimbruderschaft für ihre Beteiligung an dem Mord an Anwar Sadat am 6. Oktober 1981. Der Anschlag auf den ägyptischen Präsidenten war ein Vergeltungsakt dafür, dass Sadat dem verhassten israelischen Präsidenten Menachem Begin die Hand gereicht und 1978 einen offiziellen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet hatte.
Niels geriet ins Stocken. Blätterte vor und zurück. Endlich fand er, wonach er gesucht hatte: Abdul Hadis Reiseweg, bis er nach Schweden gekommen war. Aber die Route war nicht vollständig, sie hatte Lücken. Niels notierte sich alles. Angeblich war Abdul Hadi in Schweden in einem Zug gesehen worden. Was wollte er in Schweden? War Schweden die Endstation seiner Reise oder wollte er weiter? Er war mit einem Flug aus Brüssel gekommen und hatte sich zuvor vermutlich ein paar Tage in Indien aufgehalten. Niels wunderte sich. Wie war es überhaupt möglich, dass ein international gesuchter Mann anscheinend nach Belieben um die Welt reisen konnte? Dass die Sicherheitsprozeduren viel zu wünschen übrigließen, war bekannt. Nicht unbedingt in der Öffentlichkeit, aber auf jeden Fall in Politikerkreisen. Trotz massiver Verbesserungen der Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen auf den Flughäfen – Augenscanner, Fingerabdrücke, strengere
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