Die Auserwahlte
niedersinken ließ.
*
Mariah saß auf dem Bett, ihr Kind im Arm, und sah, wie die Tür geöffnet wurde und eine Gestalt eintrat, die so fürchterlich aussah und ihr doch keine Sekunde lang Schrecken einflößte.
Der Junge wand sich ein wenig in ihrem Arm, so daß er zu der Gestalt hinsehen konnte, die vor ihnen auf die Knie gefallen war und jetzt langsam ihre Fratze hob.
Die Haut des Mannes war zerklüftet, fast verwüstet, und ihre Spannkraft reichte längst nicht mehr aus, die beiden dolchartigen Eckzähne zu verbergen. Die Augen schienen so haltlos in ihren Höhlen zu liegen, daß eine unbedachte Kopfbewegung ausreichen mußte, um sie einfach herausfallen zu lassen.
Hinter dem Vampir sammelten sich die übrigen Schwestern unter der Tür, und die meisten von ihnen bekamen mit, was nun geschah. Doch ihre Gesichter verrieten mit keinem Zucken, daß sie sich darüber wunderten oder gar erschraken. Sie nahmen es hin wie das Wunder der Geburt, wie alles, was danach vorgegangen war, und wie den Tod des Monsignore ...
Das Kind holte Luft in Mariahs Arm, tief und mehr, als seine kleinen Lungen eigentlich verkraften konnten. Und dann stieß es den Atem wieder aus, unendlich langsam und - - angereichert mit etwas, das in ihm war.
Für das bloße Auge war es wie eine Wolke von der Farbe dunklen Goldes, das seinem Mündchen entfloh. Doch mit anderen Sinnen konnte man erfassen, daß es etwas ganz anderes war. Etwas unsagbar Mächtiges, etwas Großartiges.
Ein Stück des Wunders, das zu wirken das Kind geboren war.
Die Wolke wehte auf den knienden Vampir zu und hüllte ihn schließlich ein, so daß er aussah wie von goldenem Staub umflirrt, der sich auf seiner Haut niedersetzte und darin eindrang.
Das Kind schloß die Lippen, und für Sekunden schien es, als wäre das alles gewesen.
Doch dann geschah das eigentliche Wunder.
Die Haut des Vampirs - - glättete sich.
Es geschah raschelnd und schabend, und dem Mienenspiel des Vampirs war anzusehen, daß sich die Veränderung nicht schmerzlos vollzog, doch er schrie nicht, als fürchtete er, jeder noch so geringe Laut könnte den Zauber zerstören.
Seine Gestalt straffte sich, schwärende Wunden, die eben noch schwarz genäßt hatten, schlossen sich.
Und schließlich kniete ein Mann vor dem Bett des Kindes, der dem optischen Anschein nach allerhöchstens vierzig Jahre alt war und der gesund und kräftig wie das sprichwörtliche blühende Leben aussah.
Er spreizte die Finger, schloß sie zu Fäusten und schien nicht glauben zu können, daß seine Haut nicht länger bei jeder einzelnen Bewegung zu reißen drohte, daß er wieder so aussah wie früher.
Wie noch vor wenigen Tagen!
Als er es endlich schaffte aufzuhören, seinen Körper mit begeisterten Blicken zu erforschen, und zu dem Kind hinsah, strahlten seine zuvor noch mattschlierigen Augen in der Farbe, mit der die Kraft sich getarnt hatte, die in ihn gefahren war - wie zwei goldene Sterne.
»Was ...?« setzte Abraham an.
»Schweig!«
Mariah wußte nicht, weshalb sie das sagte. Das Wort war plötzlich auf ihren Lippen gewesen und hatte sich wie von selbst davon gelöst.
Und so war es auch mit allen weiteren Sätzen, die sie sprach. Es waren nicht die ihren. Jemand flüsterte sie ihr ein und nutzte sie als Sprachrohr.
Der Vampir schwieg tatsächlich. Doch aus seinem Blick schwanden die Fragen nicht.
Mariah konnte sie lesen wie in einem Buch, aber sie beantwortete sie nicht. Weil sie die Antworten darauf nicht kannte. Auch für sie war dies alles immer noch ein einziges Wunder. Doch sie hatte gelernt, es einfach hinzunehmen, sich daran zu erfreuen - und stolz darauf zu sein, die Auserwählte zu sein.
»Gehe hin und tue allen kund, was dir widerfahren ist«, entließ sie die Worte, die sich in ihr drängten. »Sie mögen kommen und selbst erfahren, welche Wunder Er zu wirken weiß.«
Sowohl Abrahams als auch Mariahs Blick senkten sich auf das Kind. Doch nur seine Mutter las etwas in den kleinen Äuglein. Weil es nur ihr allein bestimmt war.
Der Ausdruck tiefster Zufriedenheit im Gesicht ihres Sohnes wob Mariahs Herz in Eis.
In wohlige Kälte.
*
Abraham tat, wie ihm geheißen.
Er erhob sich und ging. So eilends verließ er Saint Catherine's, daß es einer Flucht gleichkam.
Aber das war es nicht.
Er gehorchte nur der Dringlichkeit dessen, was ihm aufgetragen worden war: Hinzugehen und allen zu sagen, daß der Untergang der Alten Rasse abwendbar war! Daß ihnen ein Kind geboren ward, das heilende Kraft
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