Die Ausgelieferten
sein, voller Situationen, die eine Kollision von Grundsätzen mit sich brachten. Diese Konflikte waren für den Untersucher verlockend, sie hatten eine gewissermaßen perverse Attraktivität, aber er riss sich los, da er sich einmal dazu entschlossen hatte, sich an den Mechanismus zu halten.
Übrig blieb das Feststellen von politischen Komplikationen. Unter den schwedischen Arbeitern wollten viele protestieren, sie fürchteten aber, von der reaktionären Propaganda vereinnahmt zu werden. Es hielten auch viele sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete still, gegen ihren Willen.
Und, andererseits: Ende November, während der letzten Tage des Hungerstreiks, entstand eine kleine, aber lautstarke Minderheit in der högerparti , die bei parteiinternen Diskussionen die Forderung erhob, die Auslieferung der Balten müsse parteipolitisch bis zum Äußersten ausgeschlachtet werden, um – wenn möglich – die sozialdemokratische Regierung zu stürzen.
Nach langen Debatten beschloss man, nicht in erster Linie nach diesem Muster zu handeln. Und dabei blieb es: die Auslieferung der Balten wurde nie völlig zu einem parteipolitischen Kampf um die Regierungsgewalt.
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Die deutschen Soldaten, die im Osten gefangengenommen wurden, führen Zwangsarbeit im Baltikum und in anderen Teilen der Sowjetunion durch. Das Schicksal der Schweden-Deutschen wird nicht anders aussehen. Den Esten, die in der deutschen Wehrmacht gekämpft haben, wird es sicherlich ähnlich ergehen. Auf jeden Fall ist es sowjetfeindliche Propaganda zu behaupten, wir würden sie erschießen. Bei den Kriegsverbrechern sieht es etwas anders aus; sie werden strafrechtlich verfolgt und abgeurteilt, ebenso wie in den von den Westmächten besetzten Teilen Deutschlands.
»Morgon-Tidningen« am 2.12.1945, Interview mit Alexander Aven, dem Vertreter des sowjetischen Rates für die Repatriierung sowjetischer Bürger in Schweden.
Aus Schweden und Norwegen erreichen uns Meldungen, wonach man dort sehr gegen die Auslieferung von einhundertfünfzig in den baltischen Staaten beheimateten Faschisten eingestellt ist. Der Beschluss der schwedischen Regierung, Kriegsverbrecher auszuliefern, ist jedoch richtig und begrüßenswert. Nach dem Sieg über den gemeinsamen Feind muss man die Schuldigen bestrafen und den Faschismus mit Stumpf und Stiel ausrotten.
Aufgefangene Meldung von Radio Tallinn vom 6.12.1945, 20 Uhr, weder bestätigt noch nachprüfbar.
E s gab zwei Aussagen, an die man sich halten konnte: zwei Quellen. Einmal die offizielle russische Mitteilung, dass man die Legionäre korrekt behandeln werde. Zum andern die inoffizielle, die man aus sowjetischen Rundfunksendungen aufgefangen hatte. Sie wurden in der schwedischen Presse fleißig zitiert, und demnach waren die Legionäre als Kriegsverbrecher zu betrachten, die einem wohlverdienten Schicksal entgegengingen. Die Rundfunkmeldungen waren schwer zu deuten, unbestimmt. Es war in manchen Fällen schwer herauszufinden, ob man mit den »Kriegsverbrechern« die Männer in Ränneslätt meinte oder die zivilen Flüchtlinge aus dem Baltikum: unter denen befand sich eine Handvoll offenbarer Kriegsverbrecher, die von russischer Seite ständig attackiert wurden. Volle Klarheit ließ sich in dieser Frage nie gewinnen. Die Rundfunkmeldung kann eine Fälschung, ein Mythos, gewesen sein. Wie dem auch sei: die Zeichen waren bedrohlich.
Mitunter schien die Bedrohlichkeit der bedrohlichen Zeichen noch auf höchst auffällige und bewusste Weise akzentuiert zu werden. Die Zeit in Ränneslätt lässt sich aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Nach der Auslieferung 1946 berichteten einige der Balten im sowjetischen Rundfunk über ihre Erlebnisse. Die erste Sendung kam am 17. Februar 1946 um 17.30 Uhr aus Moskau. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die baltischen Legionäre schon seit drei Wochen in der Sowjetunion.
In der Sendung kamen eine Reihe von Balten mit ihren Aussagen zu Wort. Einige waren auffallend unkorrekt, andere verdrehten die Tatsachen; die Aussagen waren offenbar unter Druck zustande gekommen. Man sollte die Äußerungen in diesem Licht sehen.
Sie sind jedoch nicht uninteressant.
Der Empfang war manchmal schlecht, es gab Störungen. Es finden sich also Lücken in der Darstellung. Die folgenden Zitate enthalten Berichte der Balten über die Informiertheit der Schweden, was die damalige Lage betraf, über die öffentliche Meinung in Schweden und über die Zeit in Ränneslätt.
Doktor Elmars
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