Die Ausgelieferten
einen Hungerstreik zu beginnen, war uns von schwedischen Offizieren eingegeben worden; diese hatten uns gesagt, dass Hungerstreiks in der schwedischen Armee nicht selten seien. Dies alles versetzte die Männer in einen seelischen Zustand, der Selbstmorde nicht mehr ausgeschlossen erscheinen ließ. Leutnant Lapa war der erste, der Selbstmord beging, und zwar am 27. November 1945. Im Krankenhaus erzählte eine schwedische Armeehelferin, dass Schweden uns ursprünglich nicht hätte ausliefern wollen, dass Schweden aber nur dann polnische Kohle bekommen könnte, wenn wir an die Sowjets ausgeliefert würden. Dies alles bedrückte uns sehr.«
Diese Aussagen waren offenbar in Lettland auf Band genommen, aber aus Moskau ausgestrahlt worden. Schwedische Zeitungen gaben sie nur auszugsweise wieder. In den wenigen Kommentaren hieß es übereinstimmend, dass diese Sammlung von Lügen den Balten nur unter Drohungen hätte abgepresst werden können. Man dürfe die Balten jedoch nicht tadeln, da sie auf diese Weise versucht hätten, sich vor ihren russischen Häschern zu rechtfertigen. Von einigen wurde die Ansicht vertreten, dass diese Berichte ein deutlicher Beweis für die unmenschliche Behandlung der Ausgelieferten seien, trotz aller gegenteiligen Behauptungen der Sowjets.
Es gebe also keinen Grund, sich mit diesen unsachlichen Anschuldigungen näher zu befassen.
Man ordnete jedoch eine polizeiliche Untersuchung an. So sollte zum Beispiel geprüft werden, ob die schwedischen Offiziere die Lagerinsassen in irgendeiner Form beeinflusst hatten. Die eingesetzte Kommission befragte eine Reihe beteiligter Offiziere. Sie sollten unter anderem angeben, ob sie die Lagerinsassen zum Hungerstreik ermuntert oder zu Selbstverstümmelungen und zum Selbstmord angeregt hatten. Ferner wollten die Mitglieder der Kommission wissen, ob die Offiziere unter den Internierten – entgegen den Armeevorschriften – politische Propaganda betrieben hatten.
Auf all diese Fragen antworteten die Offiziere mit einem klaren Nein. Die von den Balten im sowjetischen Rundfunk vorgebrachten Beschuldigungen waren also Lügen.
Der Polizeibericht ließ noch ein paar Teilfragen offen, auf die keine Antwort gefunden werden konnte. Eine Frage betraf die Flugblätter im Lager der Deutschen in Backamo. Einige Insassen dieses Lagers, die aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel wegen Krankheit, Urlaub bekommen hatten, hatten von Flugblättern berichtet, die von Flugzeugen abgeworfen worden sein sollten. Dies habe sich am 27. oder 28. November ereignet, die Flugzeuge seien graue Jagdmaschinen gewesen; die Männer wollten übereinstimmend schwedische Hoheitszeichen am Leitwerk und an den Tragflächen erkannt haben. Die Maschinen hätten das Lager mehrmals im Kreis überflogen, seien dann aus nördlicher Richtung in etwa vierhundert Meter Höhe angeflogen; mitten über dem Lager sei dann eine Wolke von Flugblättern abgeworfen worden. Der Wind habe jedoch plötzlich aufgefrischt, so dass die Mehrzahl der Flugblätter außerhalb des Lagers niederging, und zwar an der südwestlichen Ecke. Einige seien den Insassen dennoch in die Hand gefallen. Die Flugblätter seien in schwedischer Sprache abgefasst gewesen, man habe sie jedoch rasch übersetzt. Der Text lautete den Zeugen zufolge so: »In diesen Tagen spielt sich in den deutschen Internierungslagern eine entsetzliche Tragödie ab. Zweitausendsiebenhundert Deutsche, die sich kurz vor Kriegsende – unter anderem aus Seenot – nach Schweden begeben haben und denen man versprochen hat, sie aufgrund der Haager Konvention in Schweden zu internieren, sollen jetzt an den größten Feind Deutschlands ausgeliefert werden. Das ist ein Völkerrechtsbruch, gegen den das schwedische Volk protestiert, um seine Ausführung zu verhindern.«
Eine Reihe ehemaliger Internierter gab an, die Flugzeuge gesehen und die Flugblätter gelesen zu haben. Die Angehörigen des schwedischen Wachpersonals, die von der Kommission befragt wurden, leugneten energisch, von dem Vorfall zu wissen. Nachdem die Deutschen von dem Leugnen der schwedischen Soldaten in Kenntnis gesetzt worden waren, hielten sie dennoch an ihren Behauptungen fest. Die Frage wurde nie geklärt.
Mit welchen Schweden sprachen die Internierten? Gab es Propaganda? Welche Zeitungen lasen die Balten? Vorwiegend baltische Zeitungen, die in Schweden herauskamen. Die beliebteste war Latvju Vards , ein rechtsextremistisches Exil-Blatt, das regelmäßig in alle Lager geschickt wurde; in ihm
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