Die Ausgelieferten
die Sache der Balten und Deutschen zu schildern. Überdies hörte die Pressekampagne nicht im November auf, sondern setzte sich bis in den Januar hinein, bis zur Auslieferung fort, und zwar mit den gleichen Riesenschlagzeilen, im gleichen Umfang und mit der gleichen Anteilnahme.
Ein weiterer Grund: die Presse hat bis heute nicht aufgehört, sich mit dieser Auslieferung zu beschäftigen.
Die Presse war aber weitgefächert, die Nuancen waren groß. Auf dem linken Flügel verlangte die kommunistische Zeitung Ny Dag , dass nicht nur die baltischen Soldaten, sondern auch die 36.000 Zivilbalten ausgewiesen werden sollten, auf dem rechten Flügel erlebte die rechtsextremistische Zeitung Dagsposten eine neue Blütezeit. Dagsposten forderte, alle Internierten müssten im Land bleiben dürfen, auch die deutschen Militärs.
Es war leicht zu erkennen, wie die politischen Grundhaltungen in der Presse die Auswahl der mitzuteilenden Tatsachen beeinflussten. Die Linkspresse stützte im allgemeinen den Standpunkt der Regierung. Es gab jedoch Ausnahmen, so zum Beispiel Arbetaren . Die Mehrzahl der bürgerlichen Blätter setzte sich für eine Aufhebung des Auslieferungsbeschlusses ein.
Die Argumente waren nach kurzer Zeit allen Zeitungslesern vertraut.
Es wurde oft von der Feigheit und Nachgiebigkeit der schwedischen Regierung gesprochen. Man habe sich dem Willen einer Großmacht gebeugt, wie man zuvor den Deutschen nachgegeben hätte. Es wurde von der moralischen Pflicht der Balten und Deutschen gesprochen, nach Russland zu gehen, um das wiederaufzubauen, was die deutsche Wehrmacht in Trümmer gelegt hatte. Es wurde die Notwendigkeit betont, eine individuelle Prüfung der Balten durchzuführen, um eventuelle Kriegsverbrecher auszusondern, und die Notwendigkeit, dies nicht zu tun. Die öffentlichen Meinungsäußerungen wurden als echter und spontaner Ausdruck des Volkswillens gewertet. Die Volksmeinung wurde andererseits als von gewissen reaktionären prodeutschen pressure groups organisiert dargestellt, die für die Gesamtbevölkerung alles andere als repräsentativ seien. Das Asylrecht wurde eingehend diskutiert. Man erörterte die Vergangenheit der Balten, ohne sich auf irgendwelche Fakten stützen zu können. Man debattierte über den Auslieferungsbeschluss vom Juni, im gleichen Halbdunkel, ohne genaue Kenntnis der Hintergründe. Man diskutierte die russische Rechtspflege. Daraus ging einerseits hervor, dass die Russen Barbaren waren, andererseits, dass sie eine unübertroffen gerechte Gesetzgebung und eine ebensolche Rechtsprechung hatten. Viele waren äußerst vorsichtig und vermieden es peinlich, den Eindruck zu erwecken, als würden sie die Sowjets kritisieren, obwohl sie klar zum Ausdruck brachten, dass die Balten einem weit furchtbareren Schicksal entgegengingen als die Norweger, die in der deutschen Wehrmacht gedient hatten und an Norwegen ausgeliefert worden waren. Die Wortkargheit der Regierungsstellen in dieser Frage wurde teils kritisiert, teils gelobt.
Außerdem konnte man eine Reihe mehr oder minder bewusster Lügen antreffen; sie bauten alle auf diesem schwankenden Boden aus Halbwahrheiten, Beleidigungen, Unterstellungen, Hoffnungen und Verzweiflungsausbrüchen auf, der die eigentliche Grundlage für die Auslieferung der Balten bildete.
Es gab zwei Kernpunkte: einmal die Anwendbarkeit des Asylrechts in diesem Fall überhaupt, da es nicht um politische Flüchtlinge in formellem Sinn, sondern um geflüchtete Soldaten ging. Zum andern, und vor allem, die unterschiedlichen Auffassungen über das Schicksal der Balten, falls sie ausgeliefert werden würden. Die Haltung der Sowjetunion gegenüber. Die Einstellung zu den Russen, zu »dem Russen«.
Was die Zeitungsleser in ihren Blättern fanden, waren leuchtende Beispiele für gesteuerte Information, redigierte Fakten, manipulierte Nachrichten. Wo Svenska Dagbladet die Nachricht wählte, dass die Ehefrau eines Internierten sich geweigert habe, ihren Mann vor der Auslieferung noch einmal zu sehen, entschied sich Afton-Tidningen für die Frage, »was der ganze Spaß wohl kostete«. Für den einen waren die Balten zivile Opfer einer grausamen schwedischen Verwaltung, für den anderen waren sie Nazis.
Aufgabe: Ordnen Sie die folgenden Schlagzeilen nach Partei-Couleur, analysieren Sie ihre suggestive Wirkung, bestimmen Sie, was mit ihnen beabsichtigt wurde.
1. »Kein Asylrecht für desertierte Militärs«, 2. »Verwundete Deutsche liegen in den Sälen der Belsen-Opfer«,
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