Die Ausgelieferten
irgendeiner Form gebunden« sei, und verlangte erneut Einblick in die Akten. Die erste Seite wurde immer noch von anderen Meldungen beherrscht, aber in der dritten Auflage des Tages hatte man ein frisches Interview mit dem ehemaligen Außenminister Günther aufgenommen: »Günther gibt in der Balten-Frage Auskunft.«
Nach diesem Interview sollte die Zeitung auch im Nachrichtenteil von der Auslieferung beherrscht werden: eine Woche lang war die erste Seite mit Nachrichten über die Balten gefüllt. Am 23. November: »Die Balten sollen raus.« Am 24.: »Polizei mit Tränengas bereit«; an diesem Tag beherrschte die Balten-Frage die erste, die letzte, die Leitartikel- und eine Seite im Innern des Blatts. Der Standpunkt war immer noch eindeutig: »Überflüssig waren die Meinungsäußerungen wahrlich nicht.«
Am 25. schickte die Zeitung einen Reporter nach Ränneslätt, Bernt Bernhol. Die erste Seite ist dramatisch: »Schwedische Soldaten in Ränneslätt: Wir wollen nicht schießen!« Der Widerwille gegen die Auslieferung wird immer klarer artikuliert, sowohl im Nachrichtenteil als auch in den Leitartikeln.
Dann kommt Montag, der 26. November; irgend etwas scheint sich ereignet zu haben.
Die erste Seite wird von der Schlagzeile beherrscht: »Die Regierung wird in der Balten-Frage von den Arbeitern unterstützt.« Eine Unter-Schlagzeile verkündet: »Nazis unter den Demonstranten.« In einem einspaltigen Kasten links oben auf der ersten Seite wird die Kursänderung endgültig akzentuiert: »Unsachliche Propaganda: ein Deutscher und sein Liebchen sind kein geeignetes Beispiel.« Man berichtet über das nächtliche Treffen auf dem Marktplatz von Eksjö und stellt fest, dass es »peinliches Aufsehen« erregt habe, dass Pastor Stahle in seiner Ansprache von einem Deutschen, seiner dänischen Ehefrau und von ihrer Liebe gesprochen habe. Die Zeitung kommentiert dieses Ereignis sofort; es gehe um die Balten und nicht um die Deutschen, Stahle habe aber über einen Deutschen und ein Deutschenliebchen gesprochen. »Dass viele Frauen in demonstratives ›Schluchzen‹ ausbrachen, macht die Sache nicht besser.«
Das Blatt brachte auch eine Reihe von Interviews. Gesprächspartner waren sowohl bekannte Gewerkschaftler wie auch »Menschen von der Straße«. Die Interviews füllten eine ganze Seite und waren angeblich ein Querschnitt dessen, was die Zeitung an Meinungen angetroffen hatte; sie entsprachen aber voll dem neuen Kurs des Blatts. Von fünfzehn befragten Personen war niemand uneingeschränkt bereit, die Balten im Land bleiben zu lassen. Die allermeisten erklärten mit einer gewissen Schärfe, dass sie die Linie der Regierung unterstützten und dass die Balten »raus« müssten.
Am Tag darauf analysierte Expressen etwas ausführlicher, »worum es in der Balten-Frage eigentlich gehe«, und griff die angeblich so verdrehte und gelenkte Volksmeinung mit solcher Schärfe an, dass viele andere Zeitungen in ihren Kommentaren feststellen konnten, Expressen habe eine »Kehrtwendung« gemacht.
Was war geschehen?
Verantwortlicher Leitartikler der Zeitung bis zum 25. November einschließlich war Per Wrigstad, der spätere Chefredakteur. Damals war er Chef des politischen Ressorts. In der Schlussphase des Krieges hatte er auch Flüchtlingsfragen zu behandeln, und die Balten fielen ihm also fast automatisch zu.
Seine Kommentare waren von seiner persönlichen Meinung gefärbt und geprägt. »Es war für mich selbstverständlich, dass sie nicht ausgeliefert werden durften. Ich dachte nicht in ideologischen Begriffen, sondern sah nur, dass es hier um Menschen ging.«
Die Frage schien für ihn keine gewesen zu sein, und diese selbstverständliche Überzeugung spiegelte sich auch in der Zeitung wider.
Am Vormittag des 25. November erhielt er die Nachricht, dass sein Vater schwer erkrankt war. Er reiste sofort zu ihm und blieb über Nacht. Am Tag darauf, am Montagnachmittag, ging er aus dem Haus, um sich die Abendzeitungen zu kaufen. Er kaufte auch Expressen und sah sofort, dass irgend etwas geschehen war. Sowohl der Leitartikel wie die Nachrichten über die Balten ließen erkennen, dass die Beurteilung neuen Linien folgte. Die erste Seite war, wie er meinte, direkt provokativ. Der Hauptkommentar ging von ganz anderen Blickwinkeln aus als bisher unter seiner Leitung: die Volksmeinung, die er selbst erfreulich kraftvoll genannt hatte, wurde nun als dubios und von Nazis beeinflusst hingestellt. Der Hauptartikel auf der ersten Seite wurde
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