Die Ausgelieferten
war. Die Schatten sind noch schräg und scharf abgegrenzt, die Traube aus Deutschen, die sich dicht an eine Barackenwand gedrängt hat, befindet sich nur zur Hälfte im Sonnenlicht. Um sie herum, in Reih und Glied oder aber in Gruppen, steht das Evakuierungspersonal. Die schwedischen Soldaten tragen graue oder grauweiße Kleidung, alle tragen Stahlhelme, Gewehre, und stehen ein wenig abseits. Die dunkler gekleideten Gestalten, die Staats- und Militärpolizisten, haben offenbar nur Gummiknüppel in den Händen.
Scharfe Sonne, klare Schatten.
Einige derjenigen, die die Auslieferung am heftigsten bekämpft hatten, waren Zeugen dieses Abtransports. Unter ihnen ein Offizier der Reserve, der zur schwedischen Lagerleitung gehört hatte. Er stand lange vor dieser schreienden und wogenden Masse aus Deutschen, er sah, wie einzelne herausgegriffen, abgesondert und abgeführt wurden. Er brauchte nicht einzugreifen und wollte es auch nicht. Lange Zeit stand er still da und sah zu. Dann nahm er seinen Stahlhelm ab und warf ihn auf die Erde. Kurz darauf ging er weg. Er erinnert sich noch daran, dass die Wasserpfützen auf der Erde nachts zugefroren waren. Das Eis knisterte unter seinen Füßen, er ging.
Sie schrien:
– Wir wollen nicht! Fasst uns nicht an! Tötet uns!
Sie rissen sich die Kleider vom Leib, um leichter schneiden und stechen zu können. Zitternd und frierend standen sie an diesem letzten Novembertag in der frühen Morgensonne und suchten in den Strümpfen nach den versteckten Päckchen mit den Rasierklingen. Sie schrien immerzu. Einige versuchten, den Polizisten die Pistolen wegzunehmen, aber diese Versuche misslangen.
Um 10.30 Uhr war alles vorbei. Der Widerstand war gebrochen, die Verwundeten hatte man zu den Verbandsplätzen geführt. Der Hungerstreik war ebenfalls gebrochen, weil die schwedischen Ärzte Becher mit warmer Schokolade und Berge von Butterbroten herbeibeordert hatten. Die Schokolade war angenehm warm, und sie tranken und aßen. Einige bekamen Magenkrämpfe, die meisten schienen sich aber schnell zu erholen; diese konnten den bereitgestellten Sonderzug selbst besteigen.
Man zählte die Verwundeten. Vierundsiebzig Mann hatten sich verstümmelt, die meisten Verwundungen waren aber glimpflich, und es starb niemand. Nur zwei hatten sich die Lungen aufgestochen, die meisten anderen hatten die Pulsadern der Handgelenke aufgeschnitten. Mehr als die Hälfte hatte versucht, scharfe Gegenstände hinunterzuschlucken: Rasierklingen, Nadeln, Knöpfe, Füllhalter. Diese Gegenstände konnten in den meisten Fällen ohne Operation herausgeholt werden.
Zur selben Zeit wurden die Lager in Rinkaby, Grunnebo und Backamo evakuiert.
In Backamo wurden die Internierten am Freitagmorgen gegen 6 Uhr vom Abtransport in Kenntnis gesetzt. Unmittelbar darauf begannen die Selbstverstümmelungen, die sich aber auf die Gruppe der Offiziere konzentrierten. In diesem Lager wurde größerer Erfindungsreichtum an den Tag gelegt, und folglich waren die Verwundungen hier auch zahlreicher und ernster. Unter Verwendung der Betten wurde in aller Hast ein Beinzertrümmerungs-Apparat konstruiert. Ein Deutscher nach dem anderen steckte sein Bein in dieses Gerät und ließ sich den Röhrenknochen zerbrechen.
Ein schwedischer Polizist aus Uppsala betrat eins der Zimmer, um zu entdecken, dass die Arrangements bereits zu weit fortgeschritten waren. Zehn Mann hatten sich in Reih und Glied aufgestellt, worauf der ranghöchste Offizier einem nach dem anderen das Bein brach. Als der Schwede den Raum betrat, hatten schon acht der Anwesenden die Prozedur hinter sich gebracht, und in dem brüllenden Chaos, das nun entstand, war es ihm nicht möglich, die Verstümmelung der zwei anderen Soldaten zu verhindern.
Diese Gruppe wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, die verwendete Axt beschlagnahmt.
Um 9 Uhr, also nach drei Stunden, hatten die Schweden die Lage jedoch unter Kontrolle. Die Räumung konnte beendet werden. Genau 105 Mann hatten sich selbst verstümmelt.
Im Lager von Grunnebo konnten die Polizisten die Insassen überrumpeln. Es kamen nur drei Selbstverstümmelungen vor.
In Rinkaby wurden elf Selbstverstümmelungen und ein Selbstmord registriert: ein österreichischer Hauptmann hatte sich erhängt.
Insgesamt hatten sich in diesen Morgenstunden des 30. November also 193 Deutsche selbst verstümmelt. Hinzuzurechnen ist jedoch eine große Zahl von Internierten, die schon vorher ins Krankenhaus gebracht worden waren; allein aus dem Lager
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