Die Ausgelieferten
enthielt nur die Nachricht, dass die Auslieferung an die Russen jetzt bewerkstelligt werden solle und dass die gegebenen Befehle zu befolgen seien.
Kohn hörte stehend zu, als die Mitteilung verlesen wurde, konferierte kurz mit seinem Adjutanten und erwiderte nach nur wenigen Minuten, dass die Deutschen sich weigerten, freiwillig zu gehen.
Um 8.35 Uhr ging eine rote Signalrakete in die Luft, worauf die Militärpolizei ins Lager eindrang. Die Räumung hatte begonnen. Sie kamen von vier Seiten, schnell, direkt. Es war wie ein Überfall. Sie schnitten den Stacheldraht auf, rannten ins Lager, umringten die Baracken, stellten überall Posten auf. Danach begannen sie, die Baracken systematisch zu räumen.
Oder: versuchten es.
Die Polizisten trugen lange blauschwarze Mäntel, Helme, und jeder hatte einen Gummiknüppel in der Hand. In den schrägen Strahlen der Morgensonne betraten sie die Baracken, um die Deutschen herauszuholen. Sie verschwanden im Innern der Baracken und blieben lange fort.
Als erster kam ein Feldwebel aus Hameln heraus; er war unrasiert und bleich, konnte aber gehen. Sie befahlen ihm, die Hände über den Kopf zu nehmen, und so stand er da, während sie ihn durchsuchten. Dann ging er die Treppe hinunter. Gerade als sie ihn abführen wollten, brach der Sturm los. Es begann in Baracke 30. Zwei Offiziere traten mit durchschnittenen Handgelenken ins Freie; aus ihren Wunden strömte das Blut. Sie hielten ihre Hände hoch erhoben, standen im Morgenlicht und sahen zu den Polizisten hin, die noch nicht an ihrer Baracke angekommen waren. Es folgte ein Augenblick des Zögerns, sie sahen fast scheu aus, dann taumelten die beiden Deutschen, fielen hin. Polizisten umringten sie, es kamen Sanitäter, und plötzlich erscholl ein Gewirr aus Rufen und Kommandos. Mit einem Mal schien es, als sei die Panik urplötzlich ausgebrochen, als hätten die beiden Offiziere das Signal zur Panik gegeben, indem sie mit ihren zerschnittenen Handgelenken und halb erhobenen Armen dastanden, die sie weit vom Körper weghielten, als wollten sie trotz allem ihre Uniform nicht mit Blut beschmutzen.
Jetzt erschollen auch aus den Baracken Rufe, und die Sanitäter rannten ununterbrochen hin und her.
Im Innern des Lagers gruppierten sich die Baracken um ein offenes Viereck, eine Art Platz, und alle Deutschen, denen es gelungen war, aus den Baracken zu fliehen, ohne den Polizisten in die Hände zu fallen, versammelten sich dort. In ihrer Mitte stand ihr Lagerchef, Hauptmann Kohn, und sie drückten sich immer enger an ihn, wurden immer verzweifelter. Schließlich bildeten sie eine dichte Traube von mehr als zweihundert Mann. Sie zogen ihre Gürtel aus den Hosen, zurrten sich aneinander fest, mit Leibriemen und Schnüren, dicht, dicht. Sie standen still, unbeweglich, und sahen die Polizisten an. Nichts geschah.
Es verging eine halbe Stunde, es verging eine Stunde. Von Zeit zu Zeit brach jemand zusammen, fiel bewusstlos zur Erde, worauf die Polizisten sich vorsichtig vorwagten, sie aufhoben und forttrugen. Die Traube schien aber nicht kleiner zu werden, und nach anderthalb Stunden wurde klar, dass etwas geschehen musste.
In diesem Augenblick entschlossen sich die schwedischen Polizisten zum Angriff.
Sie bildeten einen Kreis um die Deutschen, und gerade als es losgehen sollte, zog Hauptmann Kohn einen Dolch hervor und stach ihn in seine Brust. Die ganze Traube schien seinem Beispiel zu folgen. Die Männer zerschnitten Gelenke und Brust mit Rasierklingen, sie schluckten Rasierklingen, stachen mit Dolchen in Hals und Bauch, schluckten abgebrochene Löffel und Pfeifenstiele, sie schnitten und schrien. Die Polizei brach sofort in den Kreis ein, aber da alle sich aneinander festgebunden hatten und es soviele Verwundete gab, soviele Verzweifelte, und da die Deutschen auf keinen Fall gewillt waren, sich aus der Traube zu lösen, war es schwer, einzelne herauszugreifen. In der Mitte der Schar gab es jetzt schon viele Schwerverwundete, die ununterbrochen schrien, sie schrien und wollten schließlich Hilfe haben, alle hielten sich aneinander fest, so dass die Polizisten sie voneinander losprügeln mussten. Sie schlugen und schlugen, und innerhalb von zehn Minuten war die Gruppe aufgelöst, sie war zersplittert. Die Soldaten lagen auf der Erde oder knieten oder lagen in kleinen Haufen übereinander, aber die Traube als solche war zersplittert. Die Sanitäter konnten jetzt eingreifen.
Aus den Fotografien geht deutlich hervor, wie schön dieser Morgen
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