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Die Ausgelieferten

Die Ausgelieferten

Titel: Die Ausgelieferten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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das natürlich nicht, dass man das Regime anerkennt, aber man gibt jedenfalls zu, kein politischer Flüchtling zu sein.« Warum denn das? »Man kann doch kein politischer Flüchtling sein und trotzdem sein altes Heimatland als Tourist besuchen.« Würden Sie gern einmal hinüberfahren? »Ja, das würde ich.« Aber warum haben die Gruppen der politischen Rechten solche Angst davor, dass die Kontakte zwischen Exil-Balten und den Balten in der Heimat zunehmen könnten? »Wahrscheinlich meinen sie, der Kampf gegen den Kommunismus würde dann schwerer zu führen sein. Die Kampflinien würden verschwimmen, etwa so.« Ist eine Reise nach drüben nicht aus anderen Gründen ein Risiko? »Nein, es gibt nicht ein einziges Beispiel dafür, dass ein Exil-Balte während eines Besuchs verhaftet worden ist.«
    Es gab viele Fallen. Auf welche davon bewegte er sich zu? – Ich habe Ihren Brief erhalten, schrieb er, ich glaube nicht, antworten zu können. Ich weiß ja, dass diese Auslieferung eine brisante Sache ist, die noch immer die Gemüter erhitzt, aber ich glaube, dass Sie sich irren, wenn Sie sagen, die Auslieferung sei zu einem Schild geworden, hinter dem man sich verkriechen könne. »Wenn man als Flüchtling in einem fremden Land lebt, und das tun wir hier in Schweden, entsteht früher oder später ein Zustand, in dem man sich als nicht erwünscht empfindet, als unwillkommen, als einen Parasiten, eine Pflanze in dem falschen Nährboden. Wenn man ein Fremder ist. Wenn man kein Recht hat, hier zu sein. Und dann sucht man in seiner Verzweiflung nach einem Argument, einem Grund, um hier leben zu dürfen. Für einige von uns ist die Auslieferung der Balten zu einem Rechtfertigungsgrund geworden. Schweden hat einmal ein Verbrechen an uns Balten begangen, und jetzt ist Schweden uns gegenüber verpflichtet. Das gibt uns ein moralisches Recht, hier zu leben. Und deshalb lebt auch die Auslieferung unter uns fort. Sie verringert unser Fremdsein.« Ich glaube, dass Sie unrecht haben, schrieb er, weil ich das glauben möchte. Wäre es wirklich so, dass diese schwedische Gesellschaft ein solches Trauma schaffen könnte, so wäre das eine schwerwiegendere Anklage als alles andere in dieser Affäre. Ich war heftig erregt, als ich Ihren Brief erhielt. Ich habe Ihre Behauptung an einigen anderen Balten getestet. Sie leugnen bestimmt, dass die Auslieferung als Alibi für ihr Hiersein dienen könne, sie verstehen Ihre Gedankengänge nicht, sie verstehen nicht einmal, warum Sie sich hier fremd fühlen. Außerdem haben Sie in der Sache unrecht. Wenn es überhaupt einen Mythos über die Auslieferung der Balten gibt, dann wird er bestimmt nicht von den Balten selbst genährt. Er lebt unter uns Schweden, er wird von uns selbst aufrechterhalten, er wird vielleicht auch als politisches Argument verwendet, aber nur als Argument unter uns Schweden.
    Über die Einsamkeit des Menschen im Exil kann ich aber nichts wissen.
    Welche Fallen? War er unwissend, unfähig?
    – Ich danke für Ihren Brief, schrieb er, ich werde versuchen zu antworten, obwohl ich weiß, dass ich es nicht kann. Was ist es, was mich gegenüber Menschen im Exil so beschämt macht? Warum trifft ihre Unruhe mich wie eine Anklage? Sie sprachen in Ihrem Brief von der Tragik des Exils, von »diesem Exildasein«, und ich habe in Ihrem Brief jene eigentümliche Mischung aus Sachlichkeit, bitterer Hoffnungslosigkeit und Müdigkeit vorgefunden, die ich auch bei der ersten Generation der Balten im Exil entdeckt habe, dagegen nie bei der zweiten Generation. Sie sagen, dass ein Mensch, den man seiner Sprache beraubt hat, nur ein halber Mensch sei, dass Sie den Kontakt zur Weiterentwicklung Ihrer Sprache verloren hätten, und dass dies eine Mauer sei, die Sie an das Fremdsein fessele. »Wenn man zu Besuch kommt, spricht man wie eine ältere Bibelübersetzung.« Aber wo beginnt die Resignation? »Zuallererst möchte ich Ihnen ein kleines düsteres Geheimnis verraten. Der Mensch im Exil, das unbekannte Tier, bleibt in der Regel in dem Augenblick in seiner Entwicklung stehen, in dem er sein Land verlässt. Er wird nicht einen Tag älter, als er an dem Tag war, als er sich fortbegab. Einige werden damit nicht fertig und nehmen sich das Leben. Ich selbst bin erst sechzehn Jahre alt, ein vierzigjähriger Teenager mit Mann und Kind. Wir werden nicht älter, sondern altern nur.« Es ist möglich, dass dies bei Ihnen wahr ist – aber mir stellt sich die Frage: inwieweit sind Sie repräsentativ? »Nach ihrer

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