Die Ausgelieferten
kann mit gutem Grund davon ausgehen, dass einige dieser Männer nicht bestraft worden sind.
Es kommen noch zwei weitere Legionäre dazu. Der eine wurde 1954 in Riga wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt, der zweite 1955 wegen Unterschlagung zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt – er war vorher in einem staatlichen Werk tätig gewesen. Da die Anklagepunkte in diesen beiden Fällen nichts mit der Auslieferung zu tun haben, verbleiben sie ungenannt.
Achtzehn Letten zu Straflager verurteilt. Wenn man auch die anderen neun akzeptiert, sind es insgesamt siebenundzwanzig Mann. Vermutlich ist die echte Zahl etwas niedriger. Unter Einbeziehung eines bestimmten Fehlerquotienten kann man sagen, dass nicht mehr als dreißig Letten bestraft worden sind.
Was ist wahrscheinlich? Was ist wahr?
Als er im September 1967 nach Riga kam, wollte der Untersucher durch Mittelsmänner herausbekommen, warum diese Männer verurteilt worden waren. Wie die Urteilsbegründungen lauteten. Man brachte ihn mit einem lettischen Historiker zusammen, der Dokumentenmaterial aus der deutschen Besatzungszeit kannte und der freien Zutritt zu allen Archiven hatte. Dieser Mann zeigte sich hilfsbereit, man kann völlig sicher sein, dass dieser Mann dem Untersucher nicht ohne Wissen und Billigung der Behörden behilflich war. Es stellte sich bald heraus, dass es nicht schwierig war, Material über die Verurteilten zu bekommen, wenn man erst einmal die Akten gefunden hatte. Das Material war nicht zusammengefasst, es gab also kein großes Dossier mit der Aufschrift »Auslieferung der Balten«. Aus sowjetischer Sicht waren die gegen die ausgelieferten Balten ergangenen Urteile nur ein unbedeutender und an sich uninteressanter Bestandteil der weit umfassenderen Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Kollaborateure nach dem »Großen Vaterländischen Krieg«. Es musste also viel Zeit darauf verwendet werden, in einer Reihe von Archiven herumzustöbern. Der Historiker, der ihm bei der Arbeit half, musste am Tag seiner normalen Arbeit nachgehen und konnte sich nur in den Mittagspausen und abends der Materialsuche widmen.
Es war jedoch möglich, einiges zu erfahren. Viele der Dokumente waren sehr interessant.
Hier ist es natürlich sehr leicht, Einwendungen zu machen. Weil der Schwede nicht Lettisch sprach, konnte er die Dokumente nicht selbst durchsehen . Er musste sich mit den Zusammenfassungen begnügen, die ihm angeboten wurden. Die Angaben waren natürlich bruchstückhaft, er kannte die Verteidigung der Angeklagten nicht, nur die Anklagepunkte und die Urteilsbegründungen. Die Verurteilten selbst konnten also nicht – von zwei Fällen abgesehen, in denen eine Nachprüfung zu einem Teil möglich war – zu Wort kommen. Ebenso unmöglich war es, eine Übersicht über das gesamte Prozessmaterial zu gewinnen: er bekam nur Bruchstücke zu sehen. Die Angaben müssen in diesem Licht gesehen werden, man mag ihren Wahrheitsgehalt akzeptieren oder sie als wertlos betrachten.
Soweit sie überhaupt gemacht werden, dann nur mit diesen selbst-verständlichen Einschränkungen.
Bestimmte Schlussfolgerungen sind aber dennoch möglich. Die 1947 vorgenommenen Verhaftungen folgten alle einem schablonenhaften Muster. Die Tatsache, dass ein sowjetlettischer Staatsbürger sich freiwillig zur deutschen Wehrmacht gemeldet hatte oder zwangsrekrutiert worden war, reichte aus formellen Gründen noch nicht aus, um ihn zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Es scheint der Grundsatz geherrscht zu haben, alle diejenigen vor Gericht zu bringen, die in einem lettischen oder deutschen Polizeiverband gedient hatten. Ausnahmen von dieser Regel sind natürlich denkbar, aber die Fälle, die er prüfen konnte, schienen darauf hinzudeuten, dass die Zugehörigkeit zu einem solchen Verband als besonders gravierend angesehen wurde.
Es ist auch sehr leicht zu erkennen, dass die Verhaftungen verschiedene Kategorien verschieden hart getroffen haben. Die mit Abstand am härtesten betroffene Gruppe waren die Offiziere , die direkt von Lettland nach Gotland gekommen waren. Die Gruppe Bornholm dagegen, die aus Danzig gekommen war, die man als einen regulären Frontverband betrachtete, ist wesentlich glimpflicher davongekommen. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Bornholmer Gruppe keineswegs ein einheitlicher Verband gewesen war und dass es unter den Offizieren dieses Kontingents ebenfalls verschiedene Kategorien gegeben hatte.
Alle Verurteilten scheinen einzeln vor Gericht gestellt worden zu
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